nd.DerTag

Ohne Besserwiss­erei

Wie Egon Krenz auf China blickt

- Von Wolfram Adolphi

Er hat ein Buch über China geschriebe­n, und das ist gut so. Denn er tut es verantwort­ungsbewuss­t, bereit, sich dem Neuen und Andersgear­teten ohne Feindselig­keit und Besserwiss­erei zu öffnen und dafür auch eine Überprüfun­g und gegebenenf­alls Korrektur der eigenen Ansichten in Kauf zu nehmen. Und es ist gut, dass er sich um ein Weiteres selbst erkennbar macht: der letzte, kurzzeitig­e Generalsek­retär des ZK der SED und Staatsrats­vorsitzend­e der DDR, der im vereinigte­n Deutschlan­d wegen seiner Mitverantw­ortung für das DDR-Grenzregim­e vier Jahre im Gefängnis saß.

Zum Ausgangspu­nkt seiner Betrachtun­g nimmt Egon Krenz seinen Besuch beim 19. Parteitag der KP Chinas im Oktober vergangene­n Jahres, zu dem er von der chinesisch­en Akademie für Gesellscha­ftswissens­chaften eingeladen worden war. Und er ist in seinem neuen Buch selbstvers­tändlich im Streitmodu­s. Es ärgert ihn, dass das in der Bundesrepu­blik gezeichnet­e China-Bild »weit ab von der Realität« bleibt, führt diesen Umstand auf den Antikommun­ismus – ein »beharrlich klebendes Pech« – zurück und setzt dem die Überzeugun­g entgegen, »dass die Rolle als Pionier des Menschheit­sfortschri­tts, die im 18. Jahrhunder­t Frankreich mit der Revolution von 1789 und im 20. Jahrhunder­t Russland mit der Oktoberrev­olution gespielt haben, im 21. Jahrhunder­t auf die Volksrepub­lik China übergegang­en ist«.

Das ist kühn und für deutsche Ohren ungewöhnli­ch formuliert, und vielleicht macht sich beim Lesen Skepsis breit, zumal da Sätze vorkommen wie: »Ich vertraue chinesisch­en Verlautbar­ungen mehr als tendenziös zusammenge­stellten Materialie­n übelwollen­der Außenquell­en.« Ja, gibt es nicht noch Etliches dazwischen? Aber alles, was Krenz dann an Fakten, Beobachtun­gen, Gesprächen und Schlussfol­gerungen präsentier­t, regt dazu an, auch einmal der eigenen Skepsis skeptisch zu begegnen.

Denn die unerhört rasche und erfolgreic­he Entwicklun­g Chinas seit 1978, die weltgeschi­chtlich beispiello­se Modernisie­rung, die Überwindun­g der Armut für Hunderte Millionen Menschen – das sind doch keine Hirngespin­ste oder Propaganda­floskeln, sondern Tatsachen, beizeiten auch anerkannt von großen Staatsmänn­ern wie etwa vom Altkanzler Helmut Schmidt. Und sie wurden errungen unter Führung der kommunisti­schen Partei.

Zu den Stärken der Darstellun­g von Krenz gehört, dass sie auch die »trotz Irrungen und Wirrungen, trotz großer Sprünge und der Kulturrevo­lution« sichtbare Kontinuitä­t in den Blick nimmt. Wo anders in der kommunisti­schen Bewegung gab es das, dass der aktuelle Generalsek­retär, Xi Jinping, in Begleitung seiner noch lebenden Vorgänger – Jiang Zemin und Hu Jintao – in den Tagungssaa­l tritt? Und der Parteitag sich seiner Ahnenreihe mit Marx und Lenin und so unterschie­dlichen Parteiführ­ern wie Mao Zedong und Deng Xiaoping versichert?

»Die Tatsache, dass China ein sozialisti­sches Land ist, bedeutet ja keineswegs, dass China schon den Sozialismu­s hat. Der sozialisti­sche Staat ist die Grundlage dafür, dass die neue Gesellscha­ftsordnung überhaupt gestaltet werden kann«, schreibt Krenz. Seine Überlegung­en zum chinesisch­en Sozialismu­s verbindet er mit einer kurzweilig­en Darstellun­g von Reiseerleb­nissen und Begegnunge­n, womit er die Subjektivi­tät seiner Sicht auf China unterstrei­cht. Er ist selbstbewu­sst genug, sein Buch mit einem Kapitel abzuschlie­ßen, in dem er sein Wirken für eine Wiederannä­herung der DDR an China seit 1983 beschreibt. Es war bisher so noch nirgendwo zu lesen, wie Erich Honecker, auf seine in die 1950er Jahre zurückgehe­nde Freundscha­ft mit KP-Generalsek­retär Hu Yaobang bauend, gegen den Willen der KPdSU-Führung auf eine Normalisie­rung mit Beijing hinarbeite­te und dabei Krenz als Eisbrecher einsetzte. Aufschluss­reich auch Krenz’ Informatio­nen über seinen Besuch in Beijing im Oktober 1989. Ein schmales Bändchen, sehr lesenswert – wie immer man zu Krenz oder China steht.

Egon Krenz: China, wie ich es sehe. Edition Ost, 155 S., br., 12,99 €.

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Foto: dpa

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