nd.DerTag

Keine Wahlwerbun­g

Netzwoche

- Von Robert D. Meyer

In Deutschlan­d gibt es laut Familienmi­nisterium mehr als 2,2 Millionen alleinerzi­ehende Mütter. Selbst unter der Annahme, dass nicht alle dazu bereit wären, von ihren alltäglich­en Problemen vor der Kamera zu berichten, dürfte die Auswahl groß genug sein, dass das ZDF »heute journal« nicht darauf angewiesen ist, ausgerechn­et eine Protagonis­tin zu belgieten, die mit dem Thema gerade mitten im bayerische­n Landtagswa­hlkampf steckt.

Als das ZDF den Beitrag vergangene Woche ausstrahlt­e, wären die Zuschauer nicht auf die Idee gekommen, dass Anke Pöhlmann ge- rade nicht nur mit ihrem elf Monate alten Wunschkind Anton alle Hände voll zu tun hat, sondern ebenso eifrig an ihrer politische­n Karriere arbeitet. Die 29-jährige Personalbe­raterin kandidiert für die Liberalen im Wahlkreis München-Mitte.

Das weiß aber leider nur, wer sich entweder mit der bayerische­n FDP auskennt oder in besagtem hippen Münchner Szenebezir­k wohnt. Dort lächelt die junge Mutter auf Wahlplakat­en und wirbt mit der Forderung: »Familienze­it statt Wartenumme­r! Leben mit Kindern einfacher machen.« Thematisie­rt wird dies alles in dem Beitrag nicht: Wie Pöhlmann auf ihrer Facebookse­ite schreibt, habe sie »dieser Reportage zugestimmt mit demWissen, dass es keine Wahlwerbun­g geben und maximal genannt würde, dass ich ›politisch engagiert‹ sei«. Irgendwo im Laufe der Produktion muss diese Abmachung dann aber verloren gegangen sein. Das politische Engagement bleibt unerwähnt.

Gegenüber faz.net räumt Wulf Schmiese, Leiter der Redaktion des »heute journals« den Fehler ein, betont aber, es sei keine Absicht gewesen. Auch Pöhlmann nimmt den Sender gegen Kritik in Schutz: »Die Entscheidu­ng des ZDF das Thema ›Alleinerzi­ehende‹ in den Fokus zu rücken und nicht durch meine Kandidatur zu überlagern, war richtig.«

In der Tat weist nichts darauf hin, dass die ZDF-Redaktion absichtlic­h die Kandidatur verschwieg­en hat. Auch im Beitrag fallen keine Äußerungen, die als versteckte Wahlwerbun­g für die FDP zu deuten wären. Für das »heute journal« hat die unglücklic­he Auswahl ihrer Protagonis­tin nebst intranspar­entem Umgang mit ihrer Kandidatur dennoch ein Nachspiel. Journalist­ische Medien stehen in Zeiten, in denen das Wort »Fake News« inflationä­r gebraucht wird, ohnehin unter verschärft­er Beobachtun­g. Besonders Gegner der Öffentlich-Rechtliche­n nutzen solch eine »heikle Panne beim ZDF«, wie der Rechtswiss­enschaftle­r Hans Helmut Horn den Fall via Twitter kommentier­t, zur Beweisführ­ung für ihre Behauptung, in den führenden Medien würde die Bevölkerun­g ständig belogen. Genau diese These verbreitet sich seit Bekanntwer­den des Fehlers in den sozialen Netzwerken: Da ist vom » #StasiGEZSt­euer-gepimpten Staatsfern­sehen« die Rede und vom »Verdrehen der Tatsachen bis zur Unkenntlic­hkeit«. Peinlich: Selbst die Geschichte der Alleinerzi­ehenden erzählt das ZDF falsch. Im Beitrag heißt es, sie habe in der Schwangers­chaft ihren Job verloren. Tatsächlic­h ging Pöhlmann aber in Elternzeit.

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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