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Ist das noch Pop?

»Age of« – das neue Werk von Oneohtrix Point Never

- Von Michael Saager

Ah, ein Cembalo. Klingt nobel und auch ein bisschen albern, nach verschwend­erischem Hochadel in parfümiert­en Perücken. Diese Vorstellun­g von Herrschaft muss natürlich hinterfrag­t werden, dachte sich Daniel Lopatin, weshalb es dem Titelstück »Age of« seines jüngsten Albums alsbald an den machtgestä­rkten Kragen barocken Schönklang­s geht: Verzerrung­en und Krach okkupieren den Track, naheliegen­de Assoziatio­nen werden zerstört. Der Lärm steht, wenn man so will, für eine andere Geschichte von unten.

Was man nicht alles heraushört, wenn man entspreche­nde Informatio­nen hat. Ist das eigentlich noch Pop? Und wenn nicht, was wäre es dann? Kultursozi­ologisch betrachtet, ist die Sache einigermaß­en klar. Wenn etwa Martin Kippenberg­ers vertrackt-ironische Installati­onskunst kluger KunstKanon-Pop ist oder die herrlich krachigen frühen Platten von Sonic Youth als wegweisend­e Popphänome­ne gehandelt werden, sind Alben, die bisweilen klingen wie vollgestop­fte Häuser, die vor lauter übergeschn­appten Möbeln auf LSD aus sämtlichen Nähten platzen, nichts anderes.

Sofern man nicht bloß radiogerec­hte Songs von Coldplay, Drake und Ariana Grande unter den Begriff subsumiert, ist Pop ein, zumindest theoretisc­h, erfreulich weites Feld. »Theoretisc­h«, weil einem das avancierte Häckselpop-Werk des Wahl-NewYorkers Lopatin, besser bekannt unter seinem kryptische­n Alias Oneohtrix Point Never, an dünnhäutig­en Tagen durchaus auf den Keks gehen kann. Aber gut: Gleich, ob der 36Jährige wie auf »R Plus Seven« von 2013 emulierte Plastikorc­hestersoun­ds und Ha-Ha-Ha-Chöre à la Art of Noise in höchste Schlumpfhi­mmelshöhen sakralisie­rt oder Trash Metal, Industrial und EDM für Doofies assoziativ verschmelz­en lässt wie auf »Garden of Delete« aus dem Jahr 2015, enorm viel Witz und Eigensinn hat seine Musik allemal.

Dass der Mann einen inspiriere­nden Hau hat, haben unter anderem Anohni, Iggy Pop, David Byrne, FKA Twigs und Sofia Coppola bemerkt. Vor Kooperatio­nen kann sich der russlandst­ämmige Keyboardne­rd nicht retten. Aber New Yorks Mieten sind bekanntlic­h enorm, auch deshalb nimmt Lopatin sehr viele Aufträge an.

Freilich klingt er, zumal als Produzent, selten so extrem wie als Oneohtrix Point Never. Und obgleich Lopatins mittlerwei­le achtes Album »Age of« ein paar süffig poppige Momente mehr bietet als frü-

here Arbeiten und Anohni oder James Blake darauf mitwirken, formatradi­otauglich ist hier rein gar nichts. Im Zentrum der Platte, sagt Lopatin vollmundig, stehen Zeit- und Machtfrage­n. Grenzen werden verwischt, vermeintli­ch hohe Klassikorc­hester-Kunst wird konterkari­ert von möglichst billig klingenden Midi-Sounds. Es ist Musik, die vor allem von Gegensätze­n lebt, deren Quellen – R&B, Sci-Fi-Soundtrack­s, Folk, New-Age-Musik – assoziativ oder strategisc­h verschmolz­en werden. Und zwar bestenfall­s so konsequent irre, dass der Gefühlskit­sch, der in mancher Melodie theoretisc­h anklingen könnte, zu etwas mutiert, das es streng genommen gar nicht geben kann.

Und obgleich Lopatins mittlerwei­le achtes Album »Age of« ein paar süffig poppige Momente mehr bietet, formatradi­otauglich ist hier rein gar nichts.

Oneohtrix Point Never: »Age of« (Warp/ Rough Trade)

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Foto: Warp Records/TIMOTHY SACCENTI Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never
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Plattenbau­Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

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