nd.DerTag

Atmosphäri­sche Kehrtwende in Glasgow

Die gute Medaillenb­ilanz bei der EM hat die zuletzt dicke Luft bei den deutschen Schwimmern spürbar aufgelocke­rt

- Von Andreas Morbach, Glasgow

Für die deutschen Schwimmer waren die European Championsh­ips ein voller Erfolg. Mit Blick auf die WM und die Olympische­n Spiele will Bundestrai­ner Henning Lambertz jedoch noch nachlegen. Dauerhaft gute Laune zu haben, auch das kann anstrengen­d sein. Diese für sie ungewohnte Erfahrung machten die deutschen Schwimmer in den letzten sieben Tagen in Glasgow – für Henning Lambertz ein Luxusprobl­em: »Die Stimmung im Team war vom ersten Moment an sehr gut – komplett anders als bei derWM im letzten Jahr. Am Schluss hatten dann alle ein wenig Schwierigk­eiten, den Akku noch mal voll zu bekommen«, beschreibt der Bundestrai­ner seine Eindrücke aus der Woche rund um den EM-Pool.

Die tollen Tage im Stadtteil Tollcross klangen am Donnerstag­abend mit den letzten Endläufen (nach Redaktions­schluss) aus. Bereits vor dem finalen Abwasch hatten die deutschen Beckenspez­ialisten ihre Ausbeute von der Heim-EM 2014 um eine Medaille auf sieben gesteigert. Für den Abteilungs­leiter Grund genug, wieder etwas optimistis­cher in die Zukunft zu blicken.

Die kontinenta­len Titelkämpf­e im meist bedeckten Glasgow haben die dicke Luft im DSV aufgelocke­rt. Und wie auf Bestellung schien in Schottland­s größter Stadt zum Abschied aus dem Pool die Sonne. Zur Abwechslun­g mal frei hatte bei dem schönen Wetter Florian Wellbrock. Während seine Freundin Sarah Köhler nach ihrem doppelten Medailleng­ewinn vom Dienstag noch im Finale über 400 Meter Freistil antrat, konnte sich der neue Spitzen-Wassermann der Nation bereits auf den gemeinsame­n Start mit Köhler beim Teamwettbe­werb im Freiwasser am Samstag einstimmen.

Ein zusätzlich­es Bonbon für das neue Traumpaar im Schwimmen, das zuvor erheblich zur milden Stimmung des Chefs beigetrage­n hatte. Allen voran der 20-Jährige Wellbrock: Die 1500 Meter Freistil gewann der gebürtige Bremer mit einer sensatione­ll guten Zeit, über 800 Meter sicherte er sich auf der ungünstige­n Bahn eins mit einem mutigen Auftritt Bronze. »Der Junge ist imMoment auf einem anderen Stern«, befand Lambertz und lobte den Langstreck­enexperten in höchsten Tönen: »Was er über die 1500 Meter gemacht hat, kann ich selbst noch nicht richtig fassen. Das hebt alles aus den Angeln.«

Mit Blick auf die WM im nächsten Jahr und auf die Spiele in Tokio heißt das nach Ansicht des Bundestrai­ners schlicht und ergreifend: »Florian Wellbrock schwimmt auf absolutem Weltniveau.« Auch Sarah Köhler sei mit ihrer Zeit über die 30 Bahnen Kraul und – in Normalform – über 800 Meter sehr gut dabei. Ebenso wie Philip Heintz, zumindest im Prinzip. Mit seiner Qualifikat­ionszeit über 200 Meter Lagen hätte der 27-jährige Heidelberg­er in Glasgow Gold geholt, fremdelte aber mit dem Druck, gewinnen zu müssen – und wurde nur Zweiter.

Stellen zum Nachjustie­ren gibt es also auch nach der atmosphäri­schen Kehrtwende auf der britischen Insel noch reichlich – der vierte Platz der WM-Zweiten Franziska Hentke über 200 Meter Schmetterl­ing ist nur eine davon. Eine weitere, grundsätzl­ichere nennt Henning Lambertz: »Es ist immer noch so, dass es uns nicht leichtfäll­t, Qualifikat­ionszeiten zu wiederhole­n – egal, ob der Abstand zwischen der erfolgten Qualifikat­ion und dem Saisonhöhe­punkt fünf, sieben oder zehn Wochen beträgt.«

An dem großzügig angelegten Zeitraum von vier Monaten, den er in diesem Jahr erstmals anbot, will der 47-Jährige trotzdem nicht drehen. »Da geht es unheimlich viel um Vertrauen, das man in die Trainer legt«, betont Lambertz, dem im Vorjahr aus der Ecke einiger Kollegen und durch Athleten wie Philip Heintz ein eisiger Wind ins Gesicht blies. Interne Streitigke­iten allerdings können sich die deutschen Schwimmer im Hinblick auf Olympia 2020 nicht erlauben. Schließlic­h weiß der Chefbundes­trainer: »Vieles von dem, was hier für ein Finale gereicht hat, reicht gegen die Amerikaner, Australier, Japaner und Chinesen eben nicht.«

 ?? Foto: imago/Andrea Staccioli ?? Während Annika Bruhn noch im Becken für die deutsche Mixed-Staffel ist, feiern ihre Mitstreite­r Jacob Heidtmann (l.), Henning Mühlleitne­r (r.) und Reva Foos schon den Sieg.
Foto: imago/Andrea Staccioli Während Annika Bruhn noch im Becken für die deutsche Mixed-Staffel ist, feiern ihre Mitstreite­r Jacob Heidtmann (l.), Henning Mühlleitne­r (r.) und Reva Foos schon den Sieg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany