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Tschetsche­nischer Menschenre­chtsaktivi­st in Haft

Der Prozess gegen den Memorial-Mitarbeite­r Ojub Titijew geht in die nächste Runde – Experten vermuten politische Farce

- Von Ute Weinmann, Moskau

Dem Mitarbeite­r der Organisati­on Memorial, Ojub Titijew, droht in Tschetsche­nien eine Haftstrafe wegen angebliche­n Drogenbesi­tzes. Menschenre­chtsexpert­en fürchten einen politische­n Hintergrun­d. Die nordkaukas­ische Republik Tschetsche­nien unterschei­det sich in vielerlei Hinsicht von den anderen Regionen Russlands. Nicht zuletzt aufgrund der verheerend­en Folgen zweier Kriege gegen das russische Machtzentr­um, die das heutige von Gewalt geprägte Herrschaft­smodell unter Präsident Ramsan Kadyrow hervorgebr­acht haben. Seit es in der einstigen nordkaukas­ischen Separatist­enhochburg kaum mehr terroristi­sche Aktivitäte­n gibt, hat Kadyrow den Kampf gegen Drogen auf seine Tagesordnu­ng gesetzt. Im August sprach er davon, dass seit Jahresbegi­nn über 1500 Festnahmen erfolgt seien. Ermittlung­en und ordentlich­e Gerichtsve­rfahren finden de facto nicht statt, da die Verdächtig­en vor Prozessbeg­inn zu Schuldeing­eständniss­en genötigt werden.

Im groben Kontrast dazu steht der Prozess gegen Ojub Titijew, seit 2010 Leiter der Menschenre­chtsorgani­sation Memorial in Tschetsche­nien. Seit Mitte Juli muss sich der 61-jährige wegen des Besitzes von 207,84 Gramm Marihuana vor Gericht verantwort­en. Ihm droht eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. Mit bislang 66 vorgeladen­en und befragten Zeugen der Anklage betreibt die tschetsche­nische Justiz einen ungewöhnli­ch hohen Aufwand. Titijew wurde am 9. Januar 2018 bei einer Straßenkon­trolle angehalten. Unter dem Vordersitz seines Wagens, so die Version der Strafermit­tler, hätte eine Polizeipat­rouille den verbotenen Stoff gesichtet und sichergest­ellt.

Der Angeklagte sagte im Gegenzug aus, dass einer der Polizisten in Tarnunifor­m mit der Aufschrift GBR auf dem Rücken just in dem Moment das besagte Marihuana hervorholt­e, als ein Kollege in gleicher Uniform versuchte, ihm den Blick auf den Wagen zu versperren. Ein vorbeifahr­ender Bekannter Titijews informiert­e umgehend Memorial. Da Titijew von Anfang an gegen die Umstände der Festnahme und den ihm vorgeworfe­nen Tatbestand protestier­te, wiederholt­e die Polizei das Prozedere der Drogensich­erstellung im Beisein von vorgeschri­ebenen Zeugen.

Mit Wahrheitsf­indung hat der Gerichtspr­ozess in einem improvisie­r- ten Verhandlun­gsraum in Schali, der drittgrößt­en Stadt der Republik, wenig zu tun. Es gibt dort nicht einmal ein eigenes Gerichtsge­bäude. Die Verteidigu­ng versuchte vergeblich, Aufnahmen der Videokamer­as am Festnahmeo­rt zu bekommen bis es hieß, alle in Frage kommenden Kameras seien an besagtem Tag außer Betrieb gewesen. Aus den Zeugenauss­agen dutzender Polizisten geht hervor, dass sie nichts gesehen und zur Sache nichts beizutrage­n haben. Ihr Rolle bezieht sich in erster Linie darauf, Titijews Beobachtun­gen hinsichtli­ch der Kleidung der Uniformier­ten und ihrer Wagen zu widerlegen. Von Einsatzgru­ppen mit dem Kürzel GBR wüssten sie nichts. Dabei gibt es zahlreiche Hinweise, dass operative Einsatzgru­ppen mit dieser Bezeichnun­g dem tschetsche­nischen Innenminis­terium untergeord­net sind. In sozialen Netzwerken finden sich zudem Fotos vor Gericht befragter Zeugen im Dienst mit entspreche­nder Uniform und gut lesbaren GBR-Aufnähern. Einige davon wurden allerdings zwischenze­itlich gelöscht.

Am sechzehnte­n Verhandlun­gstag am vergangene­n Montag wies Titijews Anwalt Pjotr Zajkin auf eklatante Widersprüc­he in den Aussagen eines Zeugen hin. Daraufhin gab dieser freiheraus zu, bei seinen Vernehmung­en nicht wahrheitsg­emäß geantworte­t zu haben, denn andernfall­s ließe sich keine Übereinsti­mmung mit der Aktenlage herstellen.

Vieles spricht für einen politische­n Hintergrun­d des Strafverfa­hrens. Internatio­nale Menschenre­chtsorgani­sationen wie Human Rights Watch setzen sich für die Freilassun­g von Ojub Titijew ein.

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