»Sicher ist, dass nichts sicher ist«
Kersten Artus kämpft dagegen, dass Informationen über Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert werden. Und sie wünscht sich mehr Feminismus in Arbeitskämpfen
Wenn man Ihre vielfältigen Aktivitäten verfolgt, bekommt man den Eindruck, Sie hätten täglich 48 Stunden zur Verfügung. Wie bekommt man Kampagnen für Frauenrechte, Arbeit für die Linkspartei im Bundestag, Einsätze als Großmutter und vieles mehr unter einen Hut?
Das ist mir schon manchmal zu viel. Aber ich bin keine Einzelkämpferin, sondern arbeite immer mit sehr vielen Menschen zusammen, dadurch geht es.
Gab es für Ihr Engagement für das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper einen Auslöser?
Ich habe zwei Kinder bekommen, aber ich hatte auch Abbrüche. Darum war es für mich auch eine persönliche Erfahrung, dass das Recht auf körperliche Selbstbestimmung essenziell ist. In den konkreten Situation konnte ich mich niemandem anvertrauen. Der Schwangerschaftsabbruch war sehr tabuisiert. Meine Erfahrungen haben dazu geführt, dass ich mir gesagt habe: Ich will hier gesellschaftlich etwas verändern.
Sie haben die Petition der Ärztin Kristina Hänel für eine Streichung des »Werbeverbots« für Schwangerschaftsabbrüche, also des Paragrafen 219a aus dem Strafgesetzbuch, und Hänels Kampf vor Ge- richt gegen diese Kriminalisierung von Medizinern unterstützt. Inzwischen sind Sie selbst von dem Mann verklagt worden, der auch gegen Hänel Anzeige erstattet hat. Warum?
Er tritt unter dem Pseudonym »Markus Krause« auf, und ich habe in meinem Blog zwei- bis dreimal seinen echten Namen genannt. Nun klagt er wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte. Dabei hat er Interviews gegeben und öffentlich gesagt, er betreibe das Klagen gegen Ärzte als Hobby und aus der Überzeugung heraus, dass das Leben mit der Zeugung beginnt. Mich hat er zunächst abgemahnt. Im Juni 2018 bekam ich eine Aufforderung, meine Einträge zu löschen und die Nennung seines Namens auch künftig zu unterlassen. Außerdem sollte ich Geld für seinen Anwalt bezahlen. Das habe ich nicht getan, und ich habe auch keine Unterlassungserklärung unterschrieben.
Demnächst treffen Sie ihn vor Gericht. Ja, die Verhandlung findet am 15. Februar vor der Pressekammer des Landgerichts Hamburg statt. Bisherige Entscheidungen des Bundesgerichtshofes zu anderen Personen zeigen nach meiner Einschätzung klar, dass dieser Mann kein Recht hat, seinen Namen aus der Öffentlichkeit heraus- zuhalten. Denn er hat letztlich die aktuelle politischen Debatte um Paragraf 219a ausgelöst, einen breiten gesellschaftlichen Diskurs initiiert.
Ihrerseits wollen Sie juristisch gegen die Internetplattform »Wikimannia« vorgehen. In welcher Angelegenheit? Wikimannia hat ein Foto verwendet, das ich im November 2017 auf der Kundgebung anlässlich der Gerichtsverhandlung gegen Kristina Hänel in Gießen gemacht habe. Auf dem Bild ist die Frauenärztin Nora Szász aus Kassel zu sehen. Darauf trägt sie ein Plakat, auf dem steht, auch sie sei angeklagt worden, weil sie behandle und über Schwangerschaftsabbrüche informiere. Die rassistische Männerrechtsplattform hat mir das Foto von der Solidaritätswebseite für Kristina Hänel geklaut, bei sich ohne Angabe meines Namens als Quelle eingestellt und darunter geschrieben: »Kindsmörderin demonstriert offen für ihr Tötungshandwerk«. Nachdem ich das bemerkt hatte, habe ich die Plattform angeschrieben und aufgefordert, das Foto und den darunter stehenden Satz zu entfernen. Außerdem habe ich ein Honorar für die Nutzung des Bildes für die Zeit verlangt, die es auf der Webseite stand. Ich habe darauf eine mit dem Namen »Mus Lim« unterzeichnete E-Mail bekommen, in der mir mitgeteilt wurde, man habe mich jetzt als Quelle angegeben. Ansonsten wurde nichts geändert.
Die Betreiber der Plattform vertreten unglaublich rückwärtsgewandte Positionen. Eigentlich dürften die in der modernen bundesdeutschen Gesellschaft doch keine Chance haben. Warum ist Widerstand gegen die Umtriebe solcher Leute trotzdem nötig?
Sicher ist, dass nichts sicher ist, und auf Frauenrechte trifft das allemal zu. Die Gleichstellung im Beruf stagniert, außerdem ist der Frauenanteil in den Parlamenten zurückgegangen, nicht zuletzt durch das Erstarken der AfD. Es ist ein fortwährender Kampf, gerade in diesem Gesellschaftssystem, das ja vor allem auch auf soziale Ausgrenzung setzt und auf größtmögliche Freiheit des Unternehmertums ausgerichtet ist. Da fallen gerade soziale Frauenrechte oft unter den Tisch. Die Frauenarmut im Alter wird zunehmen, und deswegen müssen wir uns auf allen Ebenen wehren. Sexuelle Selbstbestimmung halte ich dabei für eine zentrale Voraussetzung für die Ermächtigung von Frauen.
Sie waren als Linkspartei-Abgeordnete sieben Jahre Mitglied der Hamburger Bürgerschaft. Gab es Erfolge in frauenpolitischer Hinsicht?
Hamburg ist nicht gerade Vorreiter, aber immerhin hatten wir das erste Gleichstellungsamt einer Landesregierung. Als Gewerkschaftsfrauen haben wir schon vor zehn Jahren gefordert, den 8. März zum Feiertag zu machen. Dass das in Berlin jetzt Wirklichkeit wird, freut mich zwar sehr, aber ich hätte es schön gefunden, wenn wir in Hamburg die ersten gewesen wären.
Junge Feministinnen, die für den 8. März einen bundesweiten Frauenstreik planen, kritisieren, dass er in Berlin Feiertag werden soll. Kämpferische Aktionen würden quasi neutralisiert, meinen viele. Ich kann die Kritik verstehen, aber für mich ist der 8. März beides: ein Kampf- und Feiertag. Ich engagiere mich seit Jahren dafür, dass der politische Streik in Deutschland wieder möglich wird, und vermisse da auch viele Frauen in der Gewerkschaftsbewegung, denn da gehört der Kampf um den politischen Streik hin. Ich finde, wir haben schon sehr viele Frauenstreiks in Deutschland, zum Beispiel wenn es Arbeitskämpfe bei Real oder bei Amazon oder in Krankenhäusern gibt. Da sind überproportional viele Frauen beteiligt. In solchen sozialen Auseinandersetzungen wünsche ich mir mehr feministische Solidarität. Ich unterstütze den Frauenstreik am 8. März ausdrücklich, aber der Blick muss geweitet werden. Es ist richtig zu sagen, dass die Reproduktionsarbeit zum größten Teil immer noch auf uns Frauen lastet. Gerade an Feiertagen müssen wir waschen, kochen, Kinder betreuen. Es geht aber weiter auch um ökonomische Gleichstellung.
Vor dem Frauentag steht im Januar ein weiterer bundesweiter Aktionstag für die Streichung des Paragrafen 219a an. Genau, am 26. Januar werden überall Frauen auf die Straße gehen. Unsere Aktionen im Dezember haben gezeigt, dass da ein unglaubliches Potenzial ist. Und weitere Proteste sind nötig, denn der Kompromiss der Großen Koalition für eine Änderung des 219a ist eine Katastrophe. Ich finde es erbärmlich, dass die SPD sich für so etwas hergegeben hat. Die Berufsfreiheit der Ärztinnen und Ärzte wird weiter eingeschränkt. Sie dürfen nach wie vor nicht auf ihre Webseite schreiben, was beim Schwangerschaftsabbruch passiert, was die Voraussetzungen sind, sondern sie sollen auf die Seite der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung verweisen, damit sie Straffreiheit haben.
Aber eine Frau, die ungewollt schwanger ist, muss wissen, welche Methode des Abbruchs für sie die beste ist, welche Ärztin welche macht. Das muss auf den Webseiten der Medizinerinnen stehen und nicht auf einem Behördenportal, das dann ja auch ständig aktualisiert werden müsste. Das ist eine weitere Verumständlichung, die nur dazu führt, dass Frauen immer später abbrechen müssen, weil sie immer schwerer Ärztinnen finden.
Wie stehen die Chancen, dass auch der Paragraf 218 mittelfristig fällt?
Das hängt von mehreren Faktoren ab. Aber dass Abtreibungen immer noch faktisch illegal und nach Teilnahme an der Beratung lediglich straffrei sind, ist wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Wenn der Paragraf 219a nicht gestrichen wird, wird die Bewegung weiter wachsen. Wenn er dagegen fällt, könnte es schwieriger werden, weil es gegen den Paragrafen 218 nicht dieses Mehrheitsbündnis gibt, das wir beim 219a bis in die FDP und Teile der CDU hinein haben. Aber die Generation der in den 80er, 90er Jahren Geborenen will da ran. Trotzdem werden wir wohl einen langen Atem brauchen, denn nötig ist nicht nur eine gesellschaftliche, sondern auch eine Mehrheit im Parlament.