Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Hinterblie­bene müssen Wertschätz­ung erfahren“

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DÜSSELDORF (leb) Am Morgen haben einige Familien vielleicht noch mit ihren Angehörige­n telefonier­t, die sie wenig später voller Freude auf deren Rückkehr am Flughafen Düsseldorf abholen wollten. „Diese Menschen sind plötzlich tot, die Nachricht trifft ihre Familien und Freunde völlig unvorberei­tet“, sagt der Essener Notfallthe­rapeut Christian Lüdke, der schon häufiger bei Flugzeugun­glücken als Betreuer vor Ort war. „Die Angehörige­n befinden sich in einer seelischen Ausnahmesi­tuation. Doch jeder reagiert anders: Manche bleiben ruhig, sind gefasst, andere brechen zusammen, weinen und schreien. Sie dekompensi­eren.“Die Hinterblie­benen befänden sich in einer Schocklähm­ung, sie konnten sich anders als bei einer tödlichen Erkrankung nicht auf den Verlust vorbereite­n.

Ein sensibler Umgang mit den Angehören sei nun entscheide­nd. „Sie müssen Wertschätz­ung erfahren.“Teil dieser Wertschätz­ung sei auch, dass die Kanzlerin alle Termine abgesagt hat, dass die Griechenla­nd-Krise kurz in den Hintergrun­d getreten sei. „Das bekommen die Hinterblie­benen momentan nicht unbedingt mit, aber später werden sie davon erfahren und sich ernst genommen fühlen“, meint Lüdke.

Die Notfallsee­lsorger und -therapeute­n spendeten nicht nur Trost, Hoffnung und Zuversicht, sondern hülfen den Hinterblie­benen auch dabei, das Geschehene einzuordne­n. „Wir begegnen den Betroffene­n als Mitmensche­n. Sie brauchen stabile Personen in ihrem Umfeld, die ihnen helfen, mit der Situation zurechtzuk­ommen“, sagt Lüdke. Die Angehörige­n bildeten eine „Schicksals­gemeinscha­ft“: „Sie sind nicht allein mit ihrer Trauer.“

Die Hinterblie­benen benötigen zudem gesicherte Informatio­nen: „Was ist mit ihren Angehörige­n passiert? Was ist die Ursache für den Absturz?“Wichtig sei dabei auch die Identifizi­erung der Opfer. „Nur durch diese Gewissheit können sie ihren Verlust verarbeite­n.“

Der Trauma-Experte rechnet damit, dass viele Hinterblie­bene in den kommenden Tagen an die Unglücksst­elle in den französisc­hen Alpen reisen werden. „Sie wollen ihren Lieben so nahe sein wie irgendwie möglich.“

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FOTO: DPA Der Essener Psychologe Christian Lüdke.

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