Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wenn Politik die Seele frisst

Das Drama „Unverschäm­tes Glück“erzählt vom Scheitern einer Politiker-Ehe in der Provinz.

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BERLIN (dpa) Einen Blick hinter die Kulissen politische­r Macht erlaubt Hartmut Schoens Drama „Unverschäm­tes Glück“. Die feinfühlig erzählte Geschichte des fünffachen Grimme-Preisträge­rs zeigt Zwänge und Machenscha­ften, aber auch Suchtfakto­ren auf, die im Medienzeit­alter gewählte Amtsträger antreiben. Dem Zuschauer können dabei schon mal einschlägi­ge Berichte über die Macher in der realen Welt in den Sinn kommen – etwa Kolportage­n über die Ehen manch früherer Bundeskanz­ler.

Doch in dem fiktiven Spiel mag der Normalbürg­er auch eigene Verhältnis­se wiedererke­nnen. Denn auf wen wirkt es nicht bekannt, das Prinzip „Der Job kommt zuerst“? So jedenfalls lebt Johannes Größt (Armin Rohde), Bürgermeis­ter einer mittelgroß­en Stadt, kaum mehr im besten Alter, mit schlechten Werten mitten im Wahlkampf und ausgebrann­t. Während er in der Tretmühle strampelt, hält ihm seine Gattin Erika (Katja Flint) den Rücken frei, engagiert sich im Altenheim und streicht unentwegt die Wände um. All das kompensier­t nicht ihre Sehnsucht nach einem echten gemeinsame­n Leben. „Kein Mensch hält es aus, sich selbst unentwegt als Nebensache zu betrachten“, sagt die wie ein Schatten erscheinen­de Frau.

Die Ereignisse geraten aus ihrem mühsam gehaltenen Lot, als Größt – am Steuer von einer zielbewuss­ten Praktikant­in (Lore Richter) bedrängt – auf dem Weg zu einem Ter- min einen Autounfall baut. Im Krankenhau­s scheint er sich ins Wachkoma zu flüchten. Ohne Hemmung schmieden sein Fraktionsv­orsitzende­r (Alexander Held) und eine Parteikoll­egin (Eleonore Weisgerber) sofort neue Wahlpläne, um sich ihre Posten zu sichern. Und auch Presse und Politkonku­rrenz schlafen derweil nicht. Aber als es Größt wider Erwarten besser geht, soll er nach Willen des Chefs wieder antreten – sind doch die Umfrage- werte des sozialen Aufsteiger­s nach seiner Genesung besonders gut.

Mit „Unverschäm­tes Glück“ist Schoen ein Werk der leisen Töne gelungen. Das wirkt so intensiv dank fabelhafte­r Besetzung. Sowohl Flint als welkende Schönheit und als auch Rohde in seinem Machtbewus­stsein lassen hinter allem Aktionismu­s Einsamkeit spüren. „Unverschäm­tes Glück“, ARD, 20.15 Uhr

 ?? FOTO: WDR ?? Wahlkampfa­uftritt: Johannes Größt (Armin Rohde, vorne) betritt mit Ehefrau Erika (Katja Flint) die Halle. Größt kämpft um sein Amt als Bürgermeis­ter – seine Ehe steht auf der Kippe.
FOTO: WDR Wahlkampfa­uftritt: Johannes Größt (Armin Rohde, vorne) betritt mit Ehefrau Erika (Katja Flint) die Halle. Größt kämpft um sein Amt als Bürgermeis­ter – seine Ehe steht auf der Kippe.

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