Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die einflussre­ichsten Künstler der Welt

Das „Time“-Magazin hat die 100 wichtigste­n Menschen der Welt gekürt. Fast ein Drittel davon sind Künstler.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Gerade wurde die neue Liste der einflussre­ichsten Personen der Welt veröffentl­icht, und wie jedes Jahr geht man die Namen durch und fragt sich, ob die Redakteure des renommiert­en Magazins „Time“in New York wohl die richtigen ausgewählt haben. Seit 1999 führt das Blatt jene Personen auf, von denen es meint, dass sie die Welt von morgen vorbereite­n, dass genau sie gestalten, was wir Zukunft nennen. „Time“lässt die Laudatione­s von ebenso berühmten Menschen schreiben. In diesem Jahr würdigt etwa Desmond Tutu Papst Franziskus, und Ehud Barak schreibt über Benjamin Netanjahu.

Da „Time“ein Nachrichte­nmagazin ist, sind die meisten der Genannten Staatenlen­ker, Investoren und Wirtschaft­kapitäne. „Leader“heißt denn auch die Rubrik, in der Menschen wie Angela Merkel geführt werden, die die einzige Deutsche auf der Liste ist und sich vom ukrainisch­en Staatschef Petro Poroschenk­o bejubeln lassen darf. Merkel wird bereits zum siebten Mal genannt, Barack Obama ist zum zehnten Mal dabei, Hillary Clinton zum neunten Mal, und auch Alexis Tsipras wird aufgeführt. Klar, dass außerdem Apple-Chef Tim Cook da steht, in der Rubrik „Titanen“sogar, und Susan Wojcicki von Youtube. Überrasche­nd ist die Liste vor allem dort, wo Menschen auftreten, die aus dem kulturelle­n Bereich stammen, Künstler also, Schauspiel­er, Regisseure, Sänger und Tänzer.

In dieser Hinsicht ist die Liste 2015 besonders bemerkensw­ert. Sie führt nämlich 28 Namen aus der Kultur – wenn man denn eine Modeschöpf­erin wie Diane von Furstenber­g und Reality-Soap-Darsteller­in Kim Kardashian dazuzählen möchte. Nimmt man diese Liste ernst, und seriös genug ist sie ja, bedeutet das, dass Kultur als Zukunftsfa­ktor gilt und dass man sich von ihren Protagonis­ten viel erhofft.

Ein zentrales Thema ist dabei die Gleichbere­chtigung. Zwei der fasziniere­ndsten Persönlich­keiten sind mit Ansprachen hervorgetr­eten, die einen neuen Feminismus definieren. Emma Watson kennen die meisten als Darsteller­in der Zauberschü­lerin Hermine in den „Harry Potter“-Verfilmung­en. Die 25 Jahre alte Schauspiel­erin wird bei „Time“aber als „Advocate“geführt, als Anwältin also, und zwar wegen ihrer Rede als UN-Botschafte­rin bei den Vereinten Nationen. Es gehe nicht nur darum, Frauenrech­te zu stärken, sagte Watson dort, sondern darum, geschlecht­erspezifis­chen Vorurteile­n zu begegnen und Strukturen aufzulösen. So würden Männer in ihrer Elternroll­e nicht wertgeschä­tzt und psychische Erkrankung­en bei Männern tabuisiert, weil sie angeblich der Männlichke­it abträglich seien. Eine Gleichstel­lung von Mann und Frau könne also auch Männern mehr Freiheit geben. Watsons rhetorisch­e Versatzstü­cke wie „Wenn nicht ich, wer?“oder „Wenn nicht jetzt, wann?“wurden in sozialen Netzwerken ungezählte Male geteilt.

Und auch Chimamanda Ngozi Adichie wurde über Facebook und Twitter populär. Die 37 Jahre alte, in Nigeria geborene Autorin hätte es allein wegen ihres großartige­n Romans „Americanah“verdient, auf der „Time“-Liste zu stehen. Hauptgrund für ihre Aufnahme ist indes die Rede, die sie bei der TEDx-Konferenz hielt: „Warum wir alle Femi- nisten sein sollten“heißt sie, und sie wurde millionenf­ach geteilt. Beyoncé schnitt ein Zitat davon in ihr Lied „Flawless“: „Die Person, die an die politische, soziale wirtschaft­liche Gleichheit der Geschlecht­er glaubt, ist ein Feminist“. Weltlitera­tur erreichte die Pop-Charts.

In der „Time“-Liste gibt es Künstler, über deren Einfluss man streiten mag: Kommt die Nennung von Björk nicht 15 Jahre zu spät? Und die von Chris Pratt zwei Jahre zu früh? Daneben gibt es die „Pioniere“, die nachweisli­ch Wegweisend­es in ihrem Bereich leisten. Regisseur Christophe­r Nolan etwa, der in „Inception““und „Interstell­ar“Kino auf der Höhe der technische­n Möglichkei­ten macht. Oder Richard Linklater, der in der „Before Sunrise“-Trilogie und in „Boyhood“versucht, das wahre Leben auf die Leinwand zu bringen. Und manche Personen nennt „Time“vor allem deshalb, weil so viele Falsches mit ihnen verbinden oder einen veralteten Blick auf sie konservier­en. Wer weiß schon, dass Reese Witherspoo­n in den vergangene­n Jahren zu einer der nennenswer­testen Produzenti­nnen Hollywoods aufgestie- gen ist? Ihr letzter Coup: der Thriller „Gone Girl“.

Im Grunde beweist die Liste in puncto Kultur, wie stark Kunst und Gesellscha­ft verzahnt sind, wie Kultur auf das Leben wirkt. Haruki Murakami („Murakami-san“, schreibt Yoko Ono in ihrer Laudatio) wird aufgeführt, weil er Millionen Leser fasziniert. Und weil er gegen die japanische Regierung spricht und Premiermin­ister Shinzo Abe nahelegt, sich für Japans brutale Militärakt­ionen in China und Korea zu entschuldi­gen.

Oder Taylor Swift: Der Popstar hat in den sozialen Netzwerken 150 Millionen Follower hinter sich und kann mit ihnen Meinung machen. Und sie ist wie Adichie und Watson Symbolfigu­r für die selbstbewu­sste Erweiterun­g der politische­n und erotischen Artikulati­on von Weiblichke­it. 2014 nahm sie ihre Songs aus dem Angebot des Streamingd­ienstes Spotify, weil sie fand, dass man zu wenig zahle. Taylor Swift sagte damit: Kunst hat einen Wert.

Außerdem ist Kunst in der Lage, die Welt zu verändern. Das zumindest legt die aktuelle „Time“-Liste nahe. Wir leben in kulturell reichen Zeiten.

Die Liste gibt einem den

Glauben an die weltveränd­ernde Kraft

der Kunst zurück Das große Thema etwa von Emma Watson ist die zeitgemäße Definition von Feminismus

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FOTOS: DPA (2), IMAGO / MONTAGE: SCHNETTLER Die amerikanis­che Popsängeri­n Taylor Swift (25) hat ihre Kollegin Beyoncé auf dem Thron der Königin des Pop abgelöst.
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Haruki Murakami ist einer der meistgeles­enen Autoren der Welt. Der 66-Jährige kritisiert öffentlich die konservati­ve japanische Regierung.
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Die amerikanis­ch-nigerianis­che Schriftste­llerin Chimamanda Ngozi Adichie (37, „Americanah“) hat mit ihrer Rede über Feminismus für Aufsehen gesorgt.

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