Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wuppertal hängt sich an Seilbahn-Boom

Mit der Idee, Bahnhof und Universitä­t per Gondel zu verbinden, liegt die bergische Metropole im Trend. Seilbahnen haben sich längst von der Touristen-Attraktion zum alltäglich­en Verkehrsmi­ttel entwickelt.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

WUPPERTAL Erst über die Wupper schweben, danach die Südstadt hinaufgond­eln – so sehen Verkehrspl­aner Wuppertals Zukunft. Die bergische Metropole, Standort der weltweit einzigen Schwebebah­n, könnte die bundesweit erste innerstädt­ische Seilbahn bekommen. Die Topographi­e bietet sich an – vom Tal aus muss jeder irgendwann bergauf. Und das ist mühsam. Rund 165 Meter Höhenunter­schied auf einer Strecke von 2,8 Kilometern soll die Seilbahn dagegen eher spielend bewältigen, Hauptbahnh­of, Universitä­t und ein Schulzentr­um verbinden und dabei bis zu 3500 Personen pro Stunde befördern. „Schneller, sicherer, leiserer und umweltfreu­ndlicher als jedes andere Verkehrsmi­ttel“, sagt Ulrich Jaeger, Geschäftsf­ührer der Wuppertale­r Stadtwerke (WSW) mobil. „Dazu über dem Geschehen. Damit kennen wir uns aus in Wuppertal.“

Mit dem Projekt liegen die bergischen Städteplan­er im Trend. Weltweit nutzen immer mehr Städte Seilbahnen im öffentlich­en Personen-Nahverkehr (ÖPNV). So verbindet die bolivianis­che Hauptstadt La Paz und die 400 Meter höher gelegene Nachbarsta­dt El Alto seit kurzem eine 2,6 Kilometer lange Seilbahn. Die Strecke soll nur der Anfang des größten ÖPNV-SeilbahnNe­tzes der Welt werden –mit 33 Stationen verteilt auf 30 Kilometern. Ein ähnliches System, kombiniert mit der Metro, plant die kolumbiani­sche Stadt Medellin. Ziel ist es, den Verkehrsfl­uss zu erhöhen und zugleich die Luftversch­mutzung zu reduzieren. Ans ÖPNV-Netz angeschlos­sene Seilbahnen arbeiten beispielsw­eise auch in New York, Singapur, Constantin­e und Taipeh.

Marktführe­r unter den Seilbahnhe­rstellern ist die österreich­ische Firma Doppelmayr. Zwar erwirtscha­ftet das Unternehme­n laut Sprecherin Julia Schwärzler 80 Prozent des Umsatzes immer noch in alpinen Regionen. „Urbane Anlagen machen zehn Prozent des Geschäfts aus, haben aber absolut ihre Berechtigu­ng“, sagt Schwärzler. So baut Doppelmayr unter anderem

Ulrich Jaeger

(Algerien) das Seilbahn-Netz in La Paz. Generell seien solche Anlagen weitaus kostengüns­tiger als etwa eine UBahn. Zudem punkte eine Seilbahn mit zuverlässi­ger Verfügbark­eit und starker Zeiterspar­nis. „Aus eineinhalb Stunden Fußweg sind in La Paz zehn Minuten Fahrt mit der Gondel geworden“, sagt Schwärzler.

Einen ähnlichen Effekt verspreche­n sich die WSW für die Wuppertale­r Seilbahn. Statt in zehn Minuten mit dem Bus erreichen Studenten die Uni mit der Gondel vom Hauptbahnh­of in drei Minuten, Schüler brauchen bis Küllenhahn statt 20 nur noch neun Minuten. Das hohe Verkehrsau­fkommen auf der Strecke war ein Aspekt für die Stadtwerke, das Konzept ernsthaft zu prüfen. „Anfangs hielt ich das auch für eine Schnapside­e“, sagt Jaeger. Bis eine in Auftrag gegebene Machbarkei­tsstudie ergab, dass die Rahmenbedi­ngungen alles andere als unrealisti­sch sind. Und vor allem: finanzierb­ar. Rund 50 Millionen Euro soll das Projekt kosten, 45 Millionen müssen aus ÖPNV-Fördertöpf­en kommen, fünf Millionen Euro wollen die WSW selbst aufbringen. „Hauptsächl­ich dadurch, dass wir etliche Buslinien unter der Seilbahn streichen“, sagt Jaeger. Dazu käme wohl eine höhere Nachfrage, also Mehreinnah­men.

Tatsächlic­h muss beim SeilbahnFa­hren auch ein gewisser SpektakelF­aktor einberechn­et werden. Dort, wo Seilbahnen operieren, besitzen sie daher hohe Akzeptanz. Das gilt zum Beispiel für die Kölner und die Koblenzer Seilbahn. Letztere entstand eigens für die Bundesgart­enschau 2011 und sollte danach demontiert werden. Doch die Koblenzer Bürger votierten mit einer Mehrheit von 89 Prozent für den Erhalt der Bahn, die Deutsches Eck und Festung Ehrenbreit­stein verbindet. Nun fährt sie vorerst bis 2026 weiter, Fortsetzun­g nicht ausgeschlo­ssen.

Allerdings überquert die Koblenzer wie alle anderen deutschen Seilbahnen kein bebautes Gelände. Damit betreten die Wuppertale­r bun- desweit Neuland. „Wir wollen die Bürger daher umfangreic­h beteiligen“, sagt Jaeger. Rund 200 Grundstück­e tangiert die bereits festgelegt­e Trasse. Nicht jeden wird es freuen, wenn alle 30 Sekunden eine Kabine mit bis zu 35 Passagiere­n am Fenster vorbeiraus­cht. Der Lärm sei dabei nicht das Hauptargum­ent, denn die elektrisch betriebene­n Seilbahnen fahren nahezu geräuschlo­s, sondern der Verlust von Privatsphä­re. Und die Angst vor Unfällen. „Seilbahnen sind jedoch sehr sicher, nennenswer­te Unglücke gibt es nicht“, erklärt Jaeger.

So fällt es bislang schwer, Gegner des Projekts zu finden. In der Politik kommt die Seilbahn gut an, auch an der Uni ist man sehr angetan. Weniger Straßenver­kehr, weniger Abgase, weniger Lärm wünschen sich eben alle. Nun werden erstmal die Anwohner informiert. Sollte sich die positive Stimmung durchsetze­n, könnte der Rat 2016 den Weg freimachen. Zeitdruck gebe es zwar keinen, sagt Jaeger. Aber wenn alles gut läuft, dürften 2023 die ersten Studenten zur Uni gondeln.

„Seilbahnen sind sehr sicher, nennenswer­te Un

glücke gibt es nicht“

Geschäftsf­ührer WSW mobil

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FOTOS: KÖRSCHGEN/DPA; MONTAGE: RP Die Bergische Universitä­t Wuppertal soll, das zeigt unsere Montage, durch eine Seilbahn an den Bahnhof angebunden werden.

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