Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Merkel macht Flüchtlingskrise zur Chefsache
Die Kanzlerin entzieht Minister de Maizière Kompetenzen. Die Arbeitslosenzahl steigt durch Migration 2016 um 130.000.
BERLIN Bundeskanzlerin Angela Merkel macht ihren Amtschef Peter Altmaier zum Gesamtkoordinator zur Bewältigung des Flüchtlingsandrangs und verringert damit den Einfluss von Innenminister Thomas de Maizière (alle CDU). Das geht aus einer Beschlussvorlage für das heutige Bundeskabinett hervor. Altmaiers ständiger Vertreter soll der im Kanzleramt für die Bund-LänderKoordinierung zuständige Staatsminister Helge Braun (CDU) werden. Zur Unterstützung wird im Kanzleramt ein eigener Stab „Flüchtlingspolitik“eingerichtet.
Der ungebremste Flüchtlingszuzug setzt Merkel unter Druck: Auch in der eigenen Partei distanzieren sich viele vom offenen Kurs der Kanzlerin und fordern, viel mehr zu tun, um den Zuzug einzudämmen.
Zudem zeichnet sich ein Anstieg der Arbeitslosenzahl durch die starke Migration bereits ab. Nach einer Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) steigt die Erwerbslosenzahl durch den Zuzug von jeweils einer Million Flüchtlingen 2015 und 2016 im kommenden Jahr um 131.000. Die Zahl der verfügbaren Erwerbspersonen nehme durch die Migration 2015 um 324.000 und 2016 um 610.000 zu. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit sei noch nicht höher, weil die Asylbewerber erst allmählich in die Arbeitslosenstatistik übergingen, so das IAB. Auch komme es noch kaum zu Verdrängungseffekten am Arbeitsmarkt. Dazu sei der Erwerbspersonenzuwachs noch zu gering. Zudem seien die Flüchtlinge oft in Branchen wie dem Hotel- und Gaststättengewerbe tätig, in denen es „keinen Wettbewerbsdruck“für deutsche Arbeitnehmer gebe.
Das Qualifikationsniveau der Flüchtlinge sei deutlich schlechter als das der übrigen ausländischen Bevölkerung. 80 bis 90 Prozent der Flüchtlinge aus Kriegs- und Bürgerkriegsländern hätten keine abgeschlossene Berufsausbildung. 81 Prozent seien unter 35, 55 Prozent unter 25 und 28 Prozent unter 16 Jahre alt. Kritisch merkt das Institut an, dass in den ersten acht Monaten 2015 deutlich mehr Flüchtlinge eingereist seien, als Asylanträge gestellt wurden. Im Durchschnitt des Jahres 2015 stellten nur 56 Prozent der in der Datenbank erfassten Flüchtlinge auch einen Asyl-Erstantrag. Mehr als 180.000 Flüchtlinge hielten sich in Deutschland auf, ohne dass ein Asylverfahren eröffnet wurde.
Unterdessen geht Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) davon aus, dass den in Deutschland eingetroffenen Flüchtlingen zahlreiche Angehörige folgen. „Wir rechnen damit, dass sehr viele Frauen und Kinder nachkommen“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Schwesig forderte, bei allen Maßnahmen zum Schutz, zur Versorgung und zur Integration müssten Frauen und Kinder Vorrang haben. Auch die Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft rechnet in den kommenden zwölf Monaten mit bundesweit 300.000 zusätzlichen Flüchtlingskindern im Schulalter und fordert 25.000 zusätzliche Lehrkräfte. Leitartikel Politik