Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Konstrukti­vität statt Populismus

- VON MICHAEL BRÖCKER

Deutschlan­d steckt mitten in der größten gesellscha­ftlichen Herausford­erung der vergangene­n Jahrzehnte – und was machen Politiker? Sie bedienen mit RamboRheto­rik fremdenfei­ndliche Ressentime­nts oder missbrauch­en die Krise für Partei-Interessen.

Die Aussage von CSU-Chef Horst Seehofer, sein Alleingang sei „Notwehr“, verhöhnt Hunderttau­sende Flüchtling­e, die eine lebensgefä­hrliche Odyssee hinter sich gebracht haben, teilweise Terror und Krieg erleben mussten. Seehofer tut so, als seien die Flüchtling­e eine Bande Kriminelle­r, gegen die man militärisc­he Maßnahmen ergreifen müsste. Damit stärkt der CSUChef genau die rechten Truppen, die am wenigsten zur Krisenbewä­ltigung beizutrage­n haben.

Und er untergräbt seine durchaus richtige Position, dass die Krise besser organisier­t werden muss. Etwa, indem spezielle Transitzon­en für chancenlos­e Asylbewerb­er an den Grenzen eingeführt werden. Etwa, dass die Rückführun­g schneller werden muss. Nach einer Statistik des Innenminis­teriums leben zwei Drittel der Flüchtling­e, deren Asylbegehr­en abgelehnt wurde, auch zwei Jahre danach noch als Geduldete hier. Zweifelhaf­te Krankmeldu­ngen, Familienan­gehörige, die zum Zeitpunkt der Abholung plötzlich unauffindb­ar sind, und andere Tricks. Einige Bundesländ­er versuchen es sogar noch mit einer „freiwillig­en“Rückreise. Warum sollte das ein Flüchtling tun? Hier muss nachgearbe­itet werden. nzwischen hat auch der SPD-Chef seine staatspoli­tische Verantwort­ung an der Garderobe der Parteizent­rale abgegeben. Gestern legte Sigmar Gabriel bei einer Veranstalt­ung in Mainz den parteipoli­tischen Gassenhaue­r „Mehr Geld für den Staat“auf und begründete dies mit der Flüchtling­skrise. Wie wär’s, wenn der Staat zunächst mal seine Steuermehr­einnahmen nutzt und angesichts der Jahrhunder­tkrise finanziell­e Prioritäte­n setzt?

Eigentlich sind sich alle Experten auch bei den kritischen Themen einig. Natürlich muss der Staat eingreifen, wenn Gewalt, Schlägerei­en, Übergriffe auf Frauen und religiös motivierte Respektlos­igkeiten in den Flüchtling­sheimen vorkommen. Auch am Wochenende gab es wieder Massenschl­ägereien. Asyl lässt sich aber nicht mit der Faust erzwingen. Auch ist Rechtsstaa­tstreue unverhande­lbar.

All diese Klarheiten und Wahrheiten lassen sich aber auch kommunizie­ren, ohne dass der optimistis­che und solidarisc­he Grundton gegenüber den Flüchtling­en verlorenge­ht. Man kann auch lächelnd Regeln einfordern. Zwischen Willkommen­seuphorie und abendländi­scher Untergangs­stimmung gibt es auch noch etwas. Konstrukti­vität zum Beispiel.

IBERICHT MERKEL SCHLIESST HÖHERE STEUERN AUS, TITELSEITE.

Newspapers in German

Newspapers from Germany