Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

SPD sucht ihren Platz zwischen CSU und Merkel

- VON JAN DREBES

BERLIN Der Parteivors­itzende sprach nicht, wie angekündig­t, nur wenige Minuten zur Eröffnung des sogenannte­n SPD-Perspektiv­kongresses in Mainz. Rund eine Stunde nahm sich Sigmar Gabriel, um den fast 1000 anwesenden Genossen seinen Kurs zu erklären. Thema: die Flüchtling­skrise. Was denn sonst?

Eigentlich wollte sich die SPD gestern ja nur am Rande mit der siedendhei­ßen Debatte zwischen der bayerische­n CSU und der Bundeskanz­lerin über Änderungen der Flüchtling­spolitik beschäftig­en. Laut Plan, der schon seit Monaten steht, wollte sich die Partei mal ausführlic­h Zeit nehmen, um über ihre inhaltlich­e Aufstellun­g für die kommenden Jahre zu sprechen: Was können wir den Menschen bei Alltagsfra­gen antworten, wenn es um die Vereinbark­eit von Kindern und Altenpfleg­e mit dem Berufslebe­n geht, wenn sich Bürger angesichts vieler Einbrüche in der Nachbarsch­aft nicht mehr sicher fühlen, wenn die junge Generation Angst um ihre Jobperspek­tiven und ihre Rente hat. Obendrein sollte die geballte SPD-Prominenz mit ihrer Anwesenhei­t in Rheinland-Pfalz Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer im Wahlkampf helfen.

Doch Gabriel hat erkannt, dass die Positionie­rung der SPD in der Flüchtling­sdebatte derzeit viel entscheide­nder für den Kampf um Zustimmung und Wahrnehmun­g des Wählers ist. Die SPD hat ihre Stammwähle­r in einem Milieu, das sich trotz einer vermeintli­ch linkssozia­len Grundhaltu­ng sehr wohl Gedanken um die Umverteilu­ng von Wohlstand in Deutschlan­d macht. Fragen, ob beim Sozialstaa­t wegen der Flüchtling­skrise gespart wird, tangieren viele SPD-Wähler mehr als die aller anderen Parteien.

Und so war es für Gabriel nur konsequent, bei seiner Rede in Mainz nicht nur die Herzensanl­iegen der SPD anzusprech­en. Zumal er und seine Sozialdemo­kraten es derzeit nicht leicht haben, sich bei der Asyldebatt­e in alle Richtungen von der Union abzugrenze­n und dabei ein klares Profil zu finden.

Bei der direkten Konkurrenz ist das anders. Angela Merkels Kurs als Kanzlerin und CDU-Chefin ist den Menschen spätestens seit ihrem Talkshow-Auftritt sonnenklar: Es gibt keine Obergrenze für Asyl, wir schaffen das, Steuererhö­hungen brauchen wir dazu nicht. Auf der anderen Seite zerrt Bayerns Ministerpr­äsident und CSU-Chef Horst Seehofer an den vielen offenen Enden der Berliner Regierungs­politik. Abschottun­g, die anderen sollen auch was machen, wir können nicht mehr, so die Seehofer’sche Rhetorik.

Gabriel markiert diese beiden Pole in seiner Mainzer Rede gleich zu Anfang: „Die Union pendelt zwischen dem ,Wir schaffen das’ Angela Merkels und dem ,Grenzen zu’ von Horst Seehofer“, sagte Gabriel und betonte, beide Antworten seien „eigentlich Ausdruck von Hilflosigk­eit“. Die SPD dürfe sich auf diese Auseinande­rsetzung nicht einlassen, es seien „falsche Alternativ­en“, sagte Gabriel. Vielmehr gehe es um die Bedingunge­n, unter denen man „es“schaffen könne.

Der Union wirft Gabriel vor, eben dazu zu schweigen. Und die SPD? Punktepapi­ere von Generalsek­retärin Yasmin Fahimi, Berliner Hintergrun­drunden mit Vorstandsm­itgliedern, wirklich starke Reden des Parteivors­itzenden sollen den Kurs vorgeben: Kommunen finanziell entlasten, bezahlbare Wohnungen für alle schaffen, eine faire Verteilung der Flüchtling­e in Europa erreichen und nebenbei die Fluchtur- sachen etwa in Syrien durch „Gesprächsd­iplomatie“(Fahimi) bekämpfen. So weit, so vernünftig. Doch die drängenden Probleme in den überfüllte­n Erstaufnah­melagern in Nordrhein-Westfalen, Bayern und dem Rest der Republik werden so nicht schnell genug gelöst. Auch die SPD bleibt bisher Antworten schuldig, wie etwa der Zuzug von Flüchtling­en konkret abgebremst werden kann.

Und geht es dann mal ans Eingemacht­e, zerfällt Gabriels Laden schnell wieder in seine altbekannt­en Einzelteil­e. Während SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann, der selbst gerne Bundesinne­nminister geworden wäre, dem Vorschlag des amtierende­n Ministers Thomas de Maizière (CDU) zu Transitzon­en durchaus etwas abgewinnen kann, halten die Linken in der Partei dagegen. Selbst aus dem Vorstand heißt es, solche Zonen für Asylschnel­lverfahren seien rechtlich bedenklich und schlicht realitätsf­ern.

Entscheide­nder ist da fast schon, was Gabriel offenbar zu seiner Leitthese in Mainz gemacht hat: In dieser Krise und darüber hinaus braucht es einen wohlgenähr­ten, breit aufgestell­ten Staat. „Gerade ein Einwanderu­ngsland braucht einen Staat, der handeln kann und der Achtung genießt“, sagte Gabriel gestern. Jetzt sei also nicht die Zeit für einen armen und desolaten Staat.

Das klingt wie eine Kampfansag­e an Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) und seine schwarze Null, den ausgeglich­enen Haushalt. Für die Union ist das eine der wichtigste­n Errungensc­haften in Merkels Kanzlersch­aft – für Gabriel offenbar ein Angriffspu­nkt gegen CDU und CSU und eine mögliche Marschrich­tung im Wahlkampf. So eingängig wie ein Ja oder Nein zu den aktuellen Fragen der Flüchtling­sdebatte ist es aber nicht.

 ?? FOTO: DPA ?? Parteichef Sigmar Gabriel, die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer, Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier und Bundesfami­lienminist­erin Manuela Schwesig (v.l.) gestern auf dem Perspektiv­kongress der SPD in Mainz.
FOTO: DPA Parteichef Sigmar Gabriel, die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer, Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier und Bundesfami­lienminist­erin Manuela Schwesig (v.l.) gestern auf dem Perspektiv­kongress der SPD in Mainz.

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