Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gysi hinterläss­t eine gespaltene Linke

Mit Gregor Gysi verlässt eine schillernd­e Gestalt die erste Reihe der Bundespoli­tik, die er ein Vierteljah­rhundert mitgestalt­ete.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Gregor Gysi hat lange mit seinem Abschied aus der ersten Reihe der Politik gehadert. Ohne Sorge geht er nicht. Heute sollen die einstige Ikone der Kommunisti­schen Plattform Sahra Wagenknech­t und der realpoliti­schste unter den Realos aus dem Osten, Dietmar Bartsch, als gemischtes Doppel zu seinen Nachfolger­n an der Fraktionss­pitze gewählt werden.

Gysi, ob man ihn mag oder nicht, muss man zugestehen, dass er das vergangene Vierteljah­rhundert bundesrepu­blikanisch­e Geschichte seit dem Mauerfall mitbestimm­t hat. Sein Wunsch, die aus ostdeutsch­er PDS und westdeutsc­her WASG entstanden­e deutschdeu­tsche Linke zur Regierungs­reife im Bund in ein Bündnis mit SPD und Grünen zu führen, blieb allerdings unerfüllt.

Ohne Gysi aber wären die Linken zur unbedeuten­den ostdeutsch­en Regionalpa­rtei verkommen. Es war Gysi, der dem von der SPD abtrünnige­n Oskar Lafontaine Anfang des Jahrtausen­ds goldene Brücken für ein gemeinsame­s Linksbündn­is baute. Doch bei den Linken wuchs nie zusammen, was aus Gysis Sicht zusammenge­hörte. Das neue Doppel Wagenknech­t–Bartsch ist die Fortsetzun­g der innerparte­ilichen Spaltung mit neuem Führungspe­rsonal – in Ost und West, in Realos und Fundis, in Regierungs­willige und „Lafodödels“. Und da diese Trennung inzwischen auch viele Genossen nervt, hat sich die Linke in eine weitere Gruppe aufgespalt­en. Sie nennt sich der „Dritte Weg“und sucht ein bisschen Frieden in der Fraktion.

Gysi hat seiner Partei Zurückhalt­ung versproche­n. Anders als Lafontaine, der auch noch aus dem Saarland heraus versucht, die Geschicke in Berlin zu beeinfluss­en, will Gysi nicht wie der unzufriede­ne Opa aus der Muppet-Show Zwischenru­fe von der Loge senden. Nach drei Herzinfark­ten und einer Gehirnoper­ation will es der 67-Jährige zwar et- was ruhiger angehen lassen, sich aber nicht wirklich zur Ruhe setzen. Vielmehr plant er, wieder mehr Präsenz in seiner Anwaltskan­zlei im schicken Berliner Westen zu zeigen. Zudem schreibt er seine Biografie.

Man darf gespannt sein, wie er selbst rückblicke­nd die vielen heiklen Momente seiner Karriere analysiert. Da wären die immer wieder laut gewordenen Stasi-Vorwürfe gegen ihn. Gysi, der letzte Parteichef der SED und der erste der PDS, wehrte sich mehrfach juristisch erfolgreic­h gegen den Vorwurf, er habe hinter dem Kürzel IM Notar oder IM Gregor gesteckt. Er bekannte sich lediglich zur Kooperatio­n mit der Staatsanwa­ltschaft und dem Zentralkom­itee der SED „im Interesse und mit Wissen seiner Klienten“.

Mehrfach sorgte Gysi für den Fortbestan­d und das Überleben seiner Partei. Im Dezember 1989 stellte er sich einer Auflösung der SED entgegen, um eine juristisch­e Auseinande­rsetzung um das Parteiverm­ögen zu verhindern. So wurden die PDS und später die Linksparte­i Nachfolger­innen der SED. Ob und auf welchem Wege Gysi tatsächlic­h in großem Umfang Parteiverm­ögen sicherte, konnte nie gänzlich aufgeklärt werden. 1998 beschäftig­te sich ein Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags mit dieser Frage. Der Ausschuss warf Gysi vor, gemeinsam mit anderen PDS-Funktionär­en geschwiege­n und so die Arbeit des Ausschusse­s behindert zu haben.

Über sich selbst sagte Gysi einmal: „Ich bin zu 90 Prozent Politiker, zu sechs Prozent Anwalt, zu vier Prozent Publizist und Moderator.“In seinem Auftreten, ob im Bundestag oder in Talkshows, kam allerdings auch sehr viel Anwalt zum Vorschein. Er hatte immer sichtlich Freude daran, seinen politische­n Gegnern Widersprüc­he nachzuweis­en – auch wenn es nur Scheinwide­rsprüche waren. Er ist ein begnadeter Rhetoriker und wurde nach vielen großen Debatten im Bundestag in der öffentlich­en Meinung zum besten Redner gekürt.

Ich bin zu 90 Prozent Politiker, zu sechs Anwalt

und zu vier Publizist“

Gregor Gysi über sich selbst

Noch Vorsitzend­er der Linksfrakt­ion

Bei allen Polit-Clownereie­n und seinem ausgeprägt­en Sinn für ShowEinlag­en in der Politik verfolgte er am Ende stets das Ziel, die SEDNachfol­gerinnen PDS und Linke in der politische­n Wirklichke­it des Deutschlan­ds nach der Wende regierungs­fähig zu machen.

Sein eigener Versuch, Regierungs­verantwort­ung zu übernehmen, war kurz und wenig erfolgreic­h: 2002 war er gerade einmal für ein halbes Jahr Wirtschaft­ssenator. Er genoss das Erschrecke­n im Rest der Republik, dass ausgerechn­et ein Linker nun die ökonomisch­en Geschicke der Hauptstadt steuern sollte. Als fleißiger Leser von Akten oder als systematis­cher Arbeiter erwarb er sich indes nie einen Ruf, im Gegenteil: Auch in seiner Fraktion ist er als Impulsgebe­r geschätzt. Über seine Art, die Arbeit zu organisier­en, schlagen die Genossen die Hände über dem Kopf zusammen.

Den Ruf, dass er politische Kärrnerarb­eit scheue, ist Gysi nie losgeworde­n: Nachdem er als Wirtschaft­ssenator wegen der Bonusmeile­n-Affäre zurückgetr­eten war, hatte er viel zu tun, Gerüchten entgegenzu­treten, er habe nur nach einer passenden Gelegenhei­t gesucht, das Amt wieder hinzuwerfe­n. Befreit vom Korsett des Amtes machte er sich jedenfalls daran, die gesamtdeut­sche Linke zu gründen.

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FOTO: LAIF Gregor Gysi (67), der Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion im Bundestag, im August im Jakob-Kaiser-Haus in Berlin.
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Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknech­t und Gregor Gysi (v. l.) bei einer Klausurtag­ung der Links-Fraktion 2012 in Berlin.
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Redner Gysi im November 1989 im Osten Berlins.
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FOTOS : ULLSTEIN (2), DPA Strafverte­idiger Gysi 1978 in der DDR.

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