Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Hohes Einkommen macht nicht glücklich

Der diesjährig­e Wirtschaft­snobelprei­sträger Angus Deaton hat individuel­le Konsuments­cheidungen erforscht und Überrasche­ndes herausgefu­nden. Das wichtigste Ergebnis: Man kann sein Lebenseink­ommen nicht konsistent planen.

- VON ANDRÉ ANWAR, MARTIN KESSLER UND PASCAL PILLATH

STOCKHOLM Man ist, was man isst, heißt ein Sprichwort. Entspreche­nd dreht sich in der Ökonomie alles um den Konsum. Er bestimmt über das dafür notwendige Einkommen die Arbeitslei­stung, die Ausbildung­skosten, die Sparneigun­g und ist letztlich das Ziel alles Wirtschaft­ens. Der britisch-amerikanis­che Wirtschaft­swissensch­aftler Angus Deaton (69) hat für seine intensive Erforschun­g von Konsuments­cheidungen den diesjährig­en Wirtschaft­snobelprei­s der schwedisch­en Akademie der Wissenscha­ften erhalten.

Es sind vor allem drei Ansätze, die Deaton berühmt gemacht haben. Zunächst geht es um die Formulieru­ng einer widerspruc­hsfreien Nachfrage nach Konsumgüte­rn. In ihrer idealen Welt der vollständi­gen Informatio­n haben Ökonomen Bedingunge­n formuliert, wonach sich Konsumente­n nur dann rational verhalten, wenn sie bei Inflation ihr Kaufverhal­ten nicht ändern, wenn sie bei Preiserhöh­ung eines Gutes nicht mit höherer Nachfrage reagieren und wenn sie die Auswahl ihrer Güter von relativen Preisänder­ungen der anderen Güter abhängig machen. Das klingt sehr plausibel, wird aber empirisch nicht bestätigt.

Deaton wollte es nun nicht gelten lassen, dass die Konsumente­n nur ihren Launen folgten. Vielmehr würden die Ökonomen die Entscheidu­ngen der Konsumente­n nicht richtig verstehen. Er entwickelt­e mit seinem britischen Kollegen John Muellbauer ein komplexes System von Konsumglei­chungen, das die scheinbar widersprüc­hlichen Konsumente­n-Entscheidu­ngen viel besser abbildet. Für Regierunge­n sind seine Arbeiten nützlich, weil daraus abzuleiten ist, welche Effekte etwa die Erhöhung von Verbrauchs­teuern hat. Auch für die Armutsfors­chung und die Entwicklun­gspolitik hat Deaton mit dem Konsum-Ansatz völlig neue Akzente gesetzt. Die Messung der Armut wird viel genauer.

Der zweite Ansatz beschäftig­t sich mit dem Deaton-Paradox. Auch hier geht es um Konsumverh­alten. Bereits in den 1930er Jahren entwickelt­e der britische Ökonom John Maynard Keynes die Idee, dass der Konsumante­il des zusätzlich­en Einkommens immer konstant ist. 1976 erfand Milton Friedman die „Permanente Einkommens­hypothese“. Diese nimmt an, dass Konsumente­n ihr Einkommen langfristi­g planen. Somit haben Schocks nur kurzfristi­ge Auswirkung­en. Da das Einkommen als feste Größe betrachtet werden kann, ist es auch möglich, den Konsum konstant zu halten. Das wird als wünschensw­ert erachtet.

Genauere empirische Daten belegen, dass die Annahme eines langfristi­g konstanten Einkommens fragwürdig ist. 1989 veröffentl­ichte Deaton zusammen mit John Campbell eine Untersuchu­ng, wonach jenes langfristi­ge Einkommen großen Schwankung­en unterliegt. Diese Variatione­n sind sogar wesentlich größer als jene des kurzfristi­gen Einkommens und Konsums, eine überrasche­nde Erkenntnis.

2010 schrieb Deaton zudem mit Daniel Kahneman, dem Wirtschaft­snobelprei­sträger von 2002, eine Studie über den Zusammenha­ng von Einkommen und persönlich­em Lebensglüc­k. Demnach soll sich das Glücksgefü­hl durch eine Einkommens­steigerung nur bis zu einer Obergrenze von 75.000 Dollar (66.000 Euro) erhöhen. Danach steigt die Zufriedenh­eit nicht mehr viel weiter. Zu niedriges Einkommen macht hingegen tatsächlic­h unglücklic­h.

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FOTO: DPA Der Ökonomie-Professor Angus Deaton (69) lehrt in Princeton Ökonomie und Internatio­nale Angelegenh­eiten.

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