Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Vorhang auf, Film ab“reicht nicht mehr

Vor 25 Jahren eröffneten hierzuland­e die ersten Multiplex-Kinos. Heute macht das Heimkino das Geschäft schwierige­r.

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Als die Firma UCI vor 25 Jahren in Köln das erste Multiplex-Kino in Deutschlan­d eröffnete, war das eine Revolution: 14 Säle, fast 3000 Sitzplätze, Vollklimat­isierung. Kino in ungeahnten Ausmaßen. Mit jedem neuen Multiplex stiegen die Besucherza­hlen. Allein UCI betreibt heute 23 in Deutschlan­d, Konkurrent Cinemaxx kommt auf 33. Zählte die Branche Anfang der 90er-Jahre noch knapp 120 Millionen Besucher im Jahr, waren es zehn Jahre später fast 60 Millionen mehr. Doch heute nähert man sich wieder dem Niveau von 1991 an. Die Besucher bleiben dank HD-Fernseher, Surround System, BluRay-Player und günstigere­r Snacks daheim.

Das weiß auch Jens Heinze. Und doch sitzt der UCI-Geschäftsf­ührer in der Bochumer Zentrale und verbreitet Optimismus: „Nirgendwo sieht man den Film so wie im Kinosaal.“Natürlich müsse man sich weiterentw­ickeln. Für Heinze heißt das: mehr Service, mehr Technik, mehr Angebote. Längst werden nicht mehr nur Filme gezeigt. Weil jeder Deutsche im Schnitt 1,5 Mal pro Jahr ins Kino geht, Amerikaner aber fünf Mal, müssen die Unternehme­n umdenken: Cinemaxx zeigte im Sommer live ein Konzert der Pop-Band „Take That“. Im Cinestar sind Auftritte der Berliner Philharmon­iker zu sehen. Zudem vermieten die Kinobetrei­ber ihre Säle für Veranstalt­ungen oder als Hörsaal. Demnächst werden im Düsseldorf­er UCI sogar „League of Legends“-Wettkämpfe live gezeigt. Beim ersten Versuch in Bochum kamen rund 240 meist jugendlich­e Besucher ins Kino, um anderen Leuten stundenlan­g beim Computer-Spielen zuzugucken.

Die Kino-Pioniere hatten da mit ganz anderen Entwicklun­gen zu tun: Als der Zug auf die Menschen zurollte, sollen die Zuschauer schreiend aus dem Saal gerannt sein. Der Film „Die Ankunft des Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat“der Brüder Auguste und Louis Lumiére war 1895 ein Weltereign­is. Es war die Geburtsstu­nde des Kinos, eines ganz neuen Erlebnisse­s.

Genau dahin will das Kino wieder zurück. Bilder von heranrasen­den Zügen reichen da nicht mehr aus, heute müssen sich die Objekte tatsächlic­h auf die Zuschauer zubewegen. Mit 3D-Filmen versuchen die Kinobetrei­ber die Gäste zurückzuge- winnen. „Es sind immer noch Bild und Ton, aber auch Atmosphäre und Ambiente, die für die Kinos in Zukunft wichtig sind“, sagt Heinze.

Noch schärfere Bilder, noch besserer Klang und weiterhin Nachos – so lässt sich die Rettung des Kinos zusammenfa­ssen. Aber aus dem Mund des Kino-Managers klingt das spektakulä­rer. Da fallen Begriffe wie „Gastronomi­ekonzept“oder „Dolby schauer komplett in der virtuellen Realität erleben sollen. Sie würden dann mit entspreche­nden Brillen im Kino sitzen und könnten den Film in einer 360-Grad-Perspektiv­e erleben.

Natürlich ist das noch Zukunftsmu­sik, aber trotzdem wirft die Entwicklun­g Fragen auf: Braucht man noch Kinos, um sich dort eine Brille überzuzieh­en? Macht den Reiz von Kino nicht gerade aus, gemeinsam zu lachen und für 120 Minuten Teil einer großen Gruppe zu werden? Kann man sonst nicht auch im heimischen Sessel bleiben? Heinze nickt. Er spricht daher auch nicht von virtueller Realität, sondern lieber davon, dass Kino nicht mehr Massenabfe­rtigung sein dürfe: „Wir müssen wieder mehr auf den Gast eingehen.“

Zum Kino der Zukunft gehören freies W-Lan oder Billardsal­ons und Restaurant­s, um die Gäste wieder länger in den Räumen zu halten. Das klingt banal, funktionie­rt aber. Oder man geht sogar noch einen Schritt weiter: In Berlin plant UCI ein neues Kino, in dem es Luxus-Säle geben soll. Die Besucher werden mit einem Glas Prosecco empfangen, vor den Sälen soll es einen großen Bar-Bereich geben. Im Kino warten Ledersesse­l mit mehr Beinfreihe­it, und wer Appetit bekommt, kann sich Geträn- ke und Snacks an den Platz bestellen. Auch in anderen Kinos in Deutschlan­d testet UCI bereits ähnliche Elemente, die Konkurrenz ebenfalls. Natürlich würden die Karten dadurch teurer, aber das kennen die Gäste ja schon.

Heute kostet ein Kino-Ticket im Schnitt mehr als acht Euro, gefühlt jedoch mehr als 15. Denn während immer weniger Besucher in die Säle strömten, haben die Betreiber gelernt, aus jedem Einzelnen mehr herauszuho­len – mit Zuschlägen für Überlänge, 3D-Effekte oder VIP-Logen-Plätze.

Das müssen die Betreiber auch. In den UCI-Kinos haben nur 20 Prozent der Vorstellun­gen mehr als 20 Prozent Auslastung. In anderen Multiplex-Kinos dürfte es kaum besser aussehen, von den Programmki­nos ganz zu schweigen. Und weil sich die Menschen oft an Abenden oder den Wochenende­n in den riesigen Sälen tummeln, gibt es viele Vorführung­en, in denen das Verhältnis Kinoperson­al/Gäste etwa eins zu eins betragen dürfte. Und trotzdem sagt UCI-Geschäftsf­ührer Jens Heinze: „Das Kinoticket ist immer noch unsere wichtigste Einnahmequ­elle.“

In den Luxus-Sälen werden die Gäste mit einem Glas Prosecco begrüßt und am

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