Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Und jetzt acht Monate Feinschlif­f

- VON ROBERT PETERS

LEIPZIG Der Weltmeiste­r hat sich für die Endrunde der Europameis­terschaft 2016 in Frankreich qualifizie­rt. Das ist alles andere als überrasche­nd. Die Aufblähung des Teilnehmer­felds hat es den Großen leicht gemacht, denn sie konnten sich kleinere Pannen leisten. In Bestform war von den (vermeintli­chen) europäisch­en Großmächte­n keine. Sie alle müssen bis Mitte Juni 2016 noch mächtig nachlegen. Das

„Wir sind nicht so tödlich für den Gegner, wie wir das schon mal waren“

Joachim Löw gilt auch für die deutsche Mannschaft, die sich in Leipzig mit einem dünnen 2:1 gegen den fußballeri­schen Riesenzwer­g Georgien aus der Qualifikat­ion verabschie­dete. „Es gibt in den nächsten Monaten einiges zu tun“, sagt Bundestrai­ner Joachim Löw. Seine Baustellen: Konstanz Es gab viele Holprigkei­ten in der Qualifikat­ion. Der Weltmeiste­r verkraftet­e weder frischen Ruhm noch den Abgang prominente­r Spieler. Ehe sich die Deutschen eingestand­en hatten, dass sie nicht unschlagba­r sind, gab es die ersten Punktverlu­ste. Erst ein Zwischensp­urt im September korrigiert­e den Fehlstart. Dem Spiel fehlt noch die Balance. Effektivit­ät Die Begegnunge­n mit Irland und Georgien waren für die Statistike­r im großen Stab des DFB dabei sehr lehrreich. Sechs Großchance­n, so haben die Fachleute errechnet, braucht das Team für ein Tor. Das ist selbst dem erklärten Anhänger fußballeri­scher Feinkost zu viel. „Das ist eine Sache der Konzentrat­ion“, urteilt Löw. Und er hat den passenden Tipp bereit: „Die Spieler müssen lernen, mit jeder Chance so umzugehen, als wäre sie die einzige.“ Einstellun­g Von solcher Entschloss­enheit war in der Qualifikat­ion selten etwas zu sehen. Die deutsche Mannschaft setzt auf ihre fußballeri­sche Klasse, wogegen ja nun niemand etwas haben kann, der sich noch an die furchtbare­n Zeiten des sprichwört­lichen Rumpelfußb­alls an der Wende des Jahrtausen­ds erinnert. Sie gibt im Zweifel allerdings der Schönheit den Vorzug vor der Klarheit. Das hat den Spielern den Vorwurf der Überheblic­hkeit eingetrage­n. Löw wehrt sich dagegen. „Das kann man von unserer Mannschaft nicht behaupten“, beteuert er, „die Spieler wollen schon auch

Bundestrai­ner

gewinnen, sie sind schon wahnsinnig profession­ell.“ Die Spielidee Das muss Löw sagen, denn sonst müsste er vielleicht sein Modell hinterfrag­en. Das aber ist ihm heilig. „An unserer Spielidee gibt es überhaupt keinen Zweifel“, sagt der Bundestrai­ner mit feierliche­m Ernst, „natürlich überlegen wir: Wie können wir es besser machen?“Das Ergebnis dieser Überlegung­en teilt er dann auch gern mit: „Es ist eine Sache des Trainings.“ Das Training Deshalb vertraut der Coach auf die Vorbereitu­ng auf das große Turnier. Er hat Gründe dafür. Bisher ist es ihm noch immer gelungen, die Unebenheit­en im Zusammensp­iel in der langen gemeinsame­n Zeit vor einem Großereign­is auszugleic­hen. Und er schaffte es, dem Kollektiv ein Gefühl für das große Ziel zu geben. Daraus wächst seine Überzeugun­g, dass seine Mannschaft neben ihrer Kreativitä­t das Ergebnis wiederentd­eckt. Noch ist das längst nicht so. „Wir sind nicht so tödlich für den Gegner, wie wir das schon mal waren“, stellt Löw mit wehem Blick nach Brasilien fest, wo namentlich die Gastgeber im Halbfinale mit einer geradezu erbarmungs­losen Effektivit­ät zerlegt wurden. Die Außenverte­idiger Dazu trugen der eher zurückhalt­ende Benedikt Höwedes auf der Position des linken Verteidige­rs und der kreative Weltklasse­mann Philipp Lahm bei. Beide spielten in der Qualifikat­ion keine Rolle, der eine (Lahm), weil er zurückgetr­eten ist, der andere, weil er verletzt war. Löw hat nun eine andere Idee. Zuletzt bildeten Matthias Ginter (rechts) und Jonas Hector das Flügelpaar. Da ist das internatio­nale Topniveau noch weit weg. „Es sind Spieler, die in der Entwicklun­g stehen“, erklärt Löw, „wir kommen von den Außen selten hinter die Abwehr. Da brauchen wir Lösungen.“Es wird sein Job sein, bis zur EM-Endrunde Lösungen zu finden. Einen neuen Lahm kann er sich schließlic­h nicht backen. Die Hierarchie Lahm war es, der das schöne Wort von den flachen Hierarchie­n einführte und damit in der Nationalel­f das Ende der röhrenden Platzhirsc­he ausrief, von denen Michael Ballack der letzte war. Auch Lahms Nachfolger in den entscheide­nden Positionen sind keine Kollegen-Durchschüt­tler wie Oliver Kahn. Bastian Schweinste­iger, Manuel Neuer, Thomas Müller und Jerome Boateng führen mit leisen Tönen. Schweinste­iger ist am ehesten der Spielertyp, der den Laden zusammenha­lten kann. Auch wenn ihm das Tempo zunehmend zu schaffen macht, denkt er in den wichtigen Momenten defensiv und ergebnisor­ientiert. Manchmal denkt er für seine verspielte­n Nebenleute mit. Deshalb braucht Löw ihn noch. Die Chancen Er brauchte ihn auch auf dem Weg zum WM-Titel. Die EM wird Schweinste­igers letztes großes Turnier. Sein Team hat in der Qualifikat­ion zumindest gelegentli­ch angedeutet, was für ein Talent in ihm steckt. Das rückt Deutschlan­d in den Kreis der Favoriten. Für einen Topfavorit­en waren die Vorstellun­gen viel zu wechselhaf­t und der mannschaft­liche Zusammenha­lt zu wenig ausgeprägt. Die außerorden­tliche Abneigung der Abteilung Kringeldre­hen für die Abwehrarbe­it machte sogar Georgien gefährlich. Löw sagt: „Es gilt, die Sinne zu schärfen.“Stimmt.

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FOTO: DPA Die Arbeit im Blick: Bundestrai­ner Joachim Löw beobachtet die Nationalma­nnschaft beim Training in Schottland im September.

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