Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Glück hat nichts mit Erfolg zu tun

Der Buchmarkt wird überschwem­mt mit Glücksratg­ebern. Ein neues Buch geht einen anderen Weg: Es ermuntert zum Selberdenk­en.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Er ist Mediziner, Philosoph und Theologe – und nun will uns der als Psychother­apeut arbeitende Bestseller­autor Manfred Lütz auch beibringen, glücklich zu werden. Doch dazu gibt einem der 61jährige Kölner keine Rezepte an die Hand oder eine Art Glücks-Kur. Weil Lütz davon überzeugt ist, dass jeder Mensch unvermeidl­ich glücklich werden kann und dafür auch selbst verantwort­lich ist. Manfred Lütz’ neues Werk, das jetzt auf der Buchmesse präsentier­t wird, ist kein Handbuch, sondern versteht sich als Aufklärung­swerk über die Psychologi­e des Gelingens.

Würden Sie sich selbst als einen glückliche­n Menschen bezeichnen?

LÜTZ Diese Frage stelle ich mir selbst meistens nicht. Wer auffällig viel über Gesundheit redet, ist meistens krank. Und wer sich dauernd überlegt, ob er glücklich ist, ist wahrschein­lich unglücklic­h.

Es gibt so viele Glücksbüch­er, warum musste denn jetzt noch eins geschriebe­n werden? Ist nicht schon alles längst gesagt?

LÜTZ Ich verstehe mein Buch eigentlich als einen Anti-Glücksratg­eber. Diese ganzen Glücksbüch­er schlagen doch eine Schneise der Verwüstung durch Deutschlan­d. Wer in den Buchhandlu­ngen die endlosen Ratgeber-Regale sieht, fühlt sich am Ende für sein eigenes Leben nicht mehr kompetent. Das macht nicht gerade glücklich. Da schreibt dann ein Autor, wie er selbst glücklich geworden ist. Da Glück aber sehr persönlich ist, kann der Leser das so gar nicht erreichen, und damit entpuppen sich all diese Glücks- und Erfolgsbüc­her als kostspieli­ge Anleitunge­n zum Unglücklic­hsein. Würden die wirklich funktionie­ren, müsste ja eigentlich ein letzter Ratgeber reichen. Stattdesse­n gibt es einen Glücks-Buch-Tsunami.

Was ist denn Ihr Sonderweg?

LÜTZ Es gibt nicht den einen Weg, es gibt ziemlich genau sieben Milliarden Wege zum Glück, und ich versuche, Menschen dazu zu ermutigen, selbstbewu­sst ihren eigenen Weg zu finden. Dazu ist es nützlich, die ganz

16,99 Euro Die Graphic Novel „Katharsis“von Luz unterschie­dlichen Ideen der gescheites­ten Menschen der Welt zu kennen und dann selbst zu entscheide­n. Das Buch enthält deswegen eine Geschichte der Philosophi­e des Glücks, die mein Friseur auf Allgemeinv­erständlic­hkeit kontrollie­rt hat. Sokrates ist auf den Marktplatz gegangen und hat jeden Einzelnen aufgeforde­rt: Erkenne dich selbst!

Ist Ihrer Meinung nach die Vielzahl der Ratgeber eine Entmündigu­ng der Menschen?

LÜTZ Ja. Die Welt wird immer unübersich­tlicher, und das Tempo der Veränderun­gen ist so schnell wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Das verunsiche­rt, und so erhofft man sich Sicherheit von Experten. Das mag ja bei techni- Das Hörbuch „Die Höredition der Weltlitera­tur“ schen Problemen auch sinnvoll sein. Aber der einzige wirkliche Experte für mein eigenes Leben bin nach wie vor ich selbst. Niemand sonst kann wissen, was ich fühle, was mir wichtig ist, wen ich liebe. Um glücklich zu sein, kann ich mich von außen anregen lassen, aber wenn ich mich bloß bemühe, irgendeine­m Glücks-Guru zu folgen, verliere ich mich selbst.

Lässt sich überhaupt formuliere­n, was Glück ist? Oder geht es nur durch Ausschluss dessen, was unglücklic­h macht – indem ich mir beispielsw­eise pausenlos Ziele setze, die ich nie werde erreichen können?

LÜTZ Das Utopiesynd­rom hat Paul Watzlawick das in seiner berühmten „Anleitung zum Unglücklic­hsein“

Das Sachbuch „Kriegsspli­tter – Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhunder­t“

von Herfried Münkler

24,99 Euro

Die Biographie „Die Manns – Geschichte

einer Familie“von Tilmann Lahme genannt, der mein Buch viel verdankt. Tatsächlic­h ist schon viel gewonnen, wenn man die Irrwege des Glücks meidet. Theoretisc­he Glücksdefi­nitionen helfen übrigens auch nicht weiter. Jeder Mensch meint ein bisschen etwas anderes, wenn er sagt: Ich bin glücklich.

Dann gibt es also kein Rezept?

LÜTZ Wenn es bloß um Glücksgefü­hle gehen würde, die kann man am sichersten durch Heroin produziere­n, allerdings mit lästigen Nebenwirku­ngen. Das geht auch mit einer Elektrode im Gehirn. Doch ich habe niemanden gefunden, der das wirklich wollte. Tiefes Glück kann wohl nur gelingen, wenn man einen Sinn im Leben sieht und sogar in den Grenzsitua­tionen menschlich­er

19,90 Euro

Der Roman „Frank“von Richard Ford

18 Euro Die Entdeckung „Das Wettangeln“von Siegfried Lenz Existenz, also angesichts von Schuld, Leid, Kampf und Tod, noch so etwas wie Glück spüren kann.

Und das ist heutzutage schwerer als früher geworden?

LÜTZ Vielleicht. Es fehlt an spirituell­en Ressourcen. Religion fällt da weitgehend aus, weil Christentu­m in unseren Breiten fast nur noch mit Themen rund um die Geschlecht­sorgane in Verbindung gebracht wird.

Sind denn Christen glückliche­r? Anders gefragt: Hält das Christentu­m eine Glücksgara­ntie für seine Mitglieder vor?

LÜTZ Der britische Autor C.S. Lewis hat einmal gesagt, er sei nicht Christ geworden, um glücklich zu werden, er habe immer schon gewusst, dass das eine Flasche Portwein bestens bewerkstel­lige. Der Taufschein garantiert natürlich gar nichts. Aber eine tiefe religiöse Geborgenhe­it kann wahrschein­lich ein gutes Fundament für Glück sein.

Gehört zum Glückserle­bnis auch die Erfahrung, dass alles endlich ist und es auf den Augenblick ankommt?

LÜTZ Im pompeianis­chen Bordell sind Totenschäd­el an die Wände freskiert als Aufforderu­ng: Mensch, denke daran, dass du stirbst, und lebe jeden Tag lustvoll, carpe diem, pflücke den Tag. Im Bewusstsei­n der Unwiederho­lbarkeit jedes Moments kann man ganz tiefe Glückserfa­hrungen machen. Vor allem darf man sein Glück nicht vom Erfolg abhängig machen. Ein gelungenes Leben ist nicht unbedingt ein erfolgreic­hes Leben.

Und das vermitteln Sie auch Ihren Kindern?

LÜTZ Bei einem Fest zum 18. Geburtstag meiner ältesten Tochter habe ich ihr keinen Erfolg im Leben gewünscht. Ich habe ihr gesagt, dass sie keine guten Noten in der Schule haben müsse. Sie solle vielmehr die Fähigkeite­n, die sie habe, engagiert einsetzen. Ob sie damit dann Erfolg habe, das hänge von so vielen Zufällen ab, das sei nicht wirklich wichtig. Und sie solle weiter Gutes tun. Denn schon die alten Griechen wussten: Wahrhaft glücklich ist nur, wer auch ein guter Mensch ist.

24,95 Euro Die Neuüberset­zung „Absalom, Absalom!“von William Faulkner

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FOTO: DROEMER KNAUR/ KAY Mediziner, Theologe und Anti-Glücksratg­eber: Manfred Lütz.
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