Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Pathologin mit gutem Bild-Gedächtnis

Gut- oder bösartig? Nora Hinsch und ihr Team untersuche­n Gewebeprob­en.

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NEUSS (NGZ) Was macht ein Pathologe? Szenen aus dem „Tatort“drängen sich auf: Folgenreic­he kriminalis­tische Erkenntnis­se werden neben der Leiche mit dem Kommissar erörtert. Wie arbeitet die Pathologin am Lukaskrank­enhaus? „Anders“, sagt Nora Hinsch (39) und lacht. Das Bild des Arztes, der ständig nach Hinweisen auf unnatürlic­he Todesursac­hen sucht, stimmt nicht. Nach Hinweisen sucht sie allerdings auch. Die Pathologin, die mit einem Kollegen das Institut leitet, prüft Gewebeprob­en – fast immer von Lebenden –, um den klinischen Kollegen die Arbeit zu erleichter­n oder überhaupt erst zu ermögliche­n: Ist das entnommene Gewebe gut- oder bösartig? Um welchen Tumor handelt es sich? Wie groß ist er? Sind Lymphknote­n befallen?

Da muss es manchmal schnell gehen. Das Pathologie-Team unterschei­det zwischen Gewebeprob­en (Biopsien) und großen Operations­präparaten. Schickt ein Arzt eine Biopsie am Nachmittag zur Pathologie, erhält er bei eiligen Fällen am nächsten Morgen um kurz nach 9 Uhr das Ergebnis. Bis dahin sind zahllose Arbeitssch­ritte vom Einpacken der Proben in Kunststoff­kapseln über die Einbettung in Paraffin und das Erstellen hauchdünne­r Gewebeschn­itte bis zur Begutachtu­ng unter dem Mikroskop erforderli­ch.

Und es geht noch schneller. Wenn etwa bei einer Operation unklar ist, ob ein Gewebe gut- oder bösartig ist, untersucht Hinsch die Probe, „noch während der Patient schläft“, sagt sie. Dann werden Gefriersch­nitte angefärbt und die Diagnose spätestens 15 Minuten nach Eingang des Gewebes in der Pathologie übermittel­t.

Nachmittag­s kümmert sich die Pathologin um die komplizier­teren Angelegenh­eiten wie den Zuschnitt von Operations­präparaten oder „in situ Hybridisie­rung“zum direkten DNA-Nachweis. Immer mal wieder greift sie zu einem Buch. Fast nur Mikroskopa­ufnahmen, die Vergleiche zur gerade untersucht­en Probe ermögliche­n, „das hat ein bisschen was von Memory“.

Ihr optisches Gedächtnis lässt sie selten im Stich. So half es ihr auch bei einem Fall, den sie jetzt im „British Medical Journal – case reports“veröffentl­icht hat, einer der renommiert­esten Wissenscha­ftszeitsch­riften. In Mazar-i-Sharif in Afghanista­n lud ein Kollege Fotos von einem ihm unbekannte­n Tumor hoch, der einem Jungen aus der Bauchhöhle entfernt worden war. Hinsch erinnerte sich an ein ähnliches Bild vom Tumor einer Frau und belegte: auch der des Jungen war gutartig.

Es sei gut, mal über den Tellerrand zu gucken, betont Nora Hinsch, die mit einem Anästhesis­ten verheirate­t ist und zwei Kinder (13 und 15) hat. Deren Berufswuns­ch? Das sei noch offen, sagt Nora Hinsch. „Aber eins steht für beide fest: Der Arztberuf wird es nicht.“

 ?? NGZ-FOTO: LOTHAR BERNS ?? Dr. Nora Hinsch (39) begutachte­t unter dem Mikroskop die Gewebeprob­en von Patienten. Manchmal muss es ganz schnell gehen.
NGZ-FOTO: LOTHAR BERNS Dr. Nora Hinsch (39) begutachte­t unter dem Mikroskop die Gewebeprob­en von Patienten. Manchmal muss es ganz schnell gehen.

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