Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Stadtwerke wollen gegen Kohle-Deal klagen
Der Trianel-Chef macht gegen die Braunkohle-Reserve mobil. Das Kabinett billigt die Milliarden-Hilfe für RWE und andere.
BERLIN Einst hatte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) gesagt, dass es Hartz IV für arbeitslose Kraftwerke nicht geben werde. Dann fiel er um, gestern brachte er solche Hilfen durch das Bundeskabinett. Danach müssen Stromkunden den Braunkohle-Konzernen in den nächsten Jahren 1,61 Milliarden Euro dafür zahlen, dass diese acht alte Braunkohle-Blöcke vom Netz nehmen, die besonders viel klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) ausstoßen. Die Konzerne sollen die Meiler für sieben Jahre in „Sicherungsbereitschaft“halten und dann endgültig stilllegen. Die Stromrechnung für Verbraucher werde sich dafür im Jahr aber um weniger als zwei Euro erhöhen, sagte Gabriel. Nutznießer der Milliarden-Hilfe sind RWE, Vattenfall, Mibrag. Die RWE-Aktie legte um vier Prozent zu.
Die Regierung betonte, ohne Abschaltung der Braunkohle-Blöcke würde Deutschland sein Ziel verfehlen, die CO2-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Ursprünglich hatte Gabriel eine Klimaabgabe für alte Kraftwer- ke geplant, mit der diese aus dem Markt gedrängt werden sollten. Dies war aber am Widerstand von Konzernen, Gewerkschaften und NRW gescheitert, die vor dem Verlust Tausender Arbeitsplätze warnten.
Doch die Kritik am Klimadeal ist massiv: Umweltverbänden gehen die Abschaltungen nicht weit genug. Der BUND sprach von einem „goldenen Handschlag“für die Betreiber, zumal diese die Blöcke mittelfristig ohnehin stilllegen wollten.
Auch die EU-Kommission ist alarmiert. Die Kraftwerksreserve entsteht zusätzlich zu einer bestehenden Kapazitätsreserve. Gabriel versicherte, dass die Verbraucher nicht doppelt für die Absicherung gegen Stromengpässe zahlen. Die bestehende Reserve werde wegen der Braunkohle-Reserve reduziert.
Noch aber hat die EU-Kommission nicht zugestimmt: Sie könnte in den Milliarden eine unerlaubte Beihilfe für RWE und Co. sehen. Gabriel gab sich zwar zuversichtlich, dass Brüssel grünes Licht gibt. Doch Stadtwerke, obwohl teilweise Partner von RWE, wollen nun klagen. Sven Becker, Chef des Stadtwerke-Bündnis Trianel, sagt warum.
Was heißt die Reserve für Stadtwerke wie in Ihrer Kooperation Trianel?
BECKER Die Braunkohlereserve ist ein klimapolitisch untaugliches Instrument, um das sinnvolle CO2Minderungsziel bis 2020 zu erreichen. Das gilt auch im Konzert mit den weiteren Maßnahmen im Bereich Kraft-Wärme-Kopplung und Energieeffizienz. Und die Braunkohlereserve trägt kein Jota zur Sicherstellung der Stromversorgung bei, da die Kraftwerke erst mit zehn Tagen Vorwarnung ans Netz gehen müssen. Ein Gaskraftwerk braucht für den Anfahrvorgang wenige Stunden. Diese Lösung führt zu Wettbe
werbsverzerrun- gen zuungunsten der Stadtwerke und verhindert innovative klimafreundliche Lösungen. Letztendlich werden die Verbraucher, auch die Stadtwerkekunden, in erheblichem Maße belastet.
Als Ausgleich für die Stilllegung sollen RWE und Co. eine MilliardenVergütung bekommen, die der Stromkunde bezahlt. Halten Sie das für eine verbotene Beihilfe?
BECKER Die Kraftwerksbetreiber würden ohne die Reserve die Kraftwerke weiterbetreiben und mit ihnen Geld verdienen, insofern ist die Vergütung nachvollziehbar. Das macht sie aber nicht rechtskonform. Es sprechen eine ganze Reihe Anzeichen dafür, dass die Braunkohle-Reserve eine rechtswidrige Beihilfe darstellt. Es fehlt die Technologieoffenheit, denn die Maßnahme beschränkt sich ausschließlich auf Braunkohleverstromung. Das widerspricht nach Ansicht vieler Experten europäischem Recht. Die Braunkohle-Reserve widerspricht zudem dem europäischen Emissionshandelssystem, das vorsieht, dass CO2-Verursacher für ihre klimaschädlichen Emissionen durch den Erwerb von Verschmutzungs- rechten zahlen und nicht für Kraftwerksstilllegungen belohnt werden.
Verstößt die Regelung gegen EURecht, obwohl die deutsche Regierung nachgebessert hat?
BECKER Die Nachbesserungen sind eher kosmetischer Natur, um der EU-Kommission die Möglichkeit zu geben, zuzustimmen. Ob die Beihilfe damit rechtskonform wird, wage ich zu bezweifeln.
Werden Sie gegen das Gesetz klagen?
BECKER Wir werden alle juristischen Optionen prüfen, wobei sich eine Klage vor der europäischen Gerichtsbarkeit nur indirekt gegen das Gesetz, sondern gegen eine positive Entscheidung der europäischen Kommission richtet. Eine vergleichbare Klage deutscher Stadtwerke läuft aktuell gegen die Genehmigung der Förderung des britischen Kernkraftwerks Hinkley Point C. Auch hier hat die Kommission in einer auch kommissionsintern sehr umstrittenen Entscheidung die Milliardenbeihilfen für das Kernkraftwerk genehmigt. DAS VOLLSTÄNDIGE INTERVIEW FINDEN SIE UNTER WWW.RP-ONLINE.DE