Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kriminalbe­amte wollen schnellere Strafverfa­hren

Im Kampf gegen rechte Hetze und Gewalttate­n soll es künftig zügiger zu Urteilen kommen. Juristen halten dagegen.

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BERLIN (jd/qua) Nach den Ausschreit­ungen gegen Flüchtling­e im sächsische­n Dorf Clausnitz und dem Brand eines Flüchtling­sheims im ebenfalls sächsische­n Bautzen haben Sicherheit­sbehörden schnellere Strafverfa­hren gefordert. Im Kampf gegen Rechtsradi­kalismus brauche es eine „schnellere Reaktion der Justiz“, hieß es vom Bund Deutscher Kriminalbe­amter (BDK). Dessen Vize-Vorsitzend­er Michael Böhl sagte unserer Redaktion: „Einer Tat wie Landfriede­nsbruch muss eine Strafe auf den Fuß folgen.“

Vorbild könne das Berliner Modell sein, wonach jugendlich­e Intensivtä­ter schnell abgeurteil­t und auch bestraft werden. Auch bei den Rechtsextr­emen gebe es Intensivtä­ter, die von einem Ort zum anderen reisten, um dort Krawall zu machen. „Für solche Schnellver­fahren müsste die Justiz eigene Kammern oder Bereiche abstellen, die sich dann nur mit diesen Taten befassen“, sagte Böhl.

Ein pöbelnder Mob von rund 100 Personen hatte am Donnerstag in Clausnitz etwa 20 Flüchtling­e daran gehindert, den Bus zu verlassen, mit dem sie in das Dorf gebracht worden waren. Und nach dem Brand in Bautzen berichtete­n Einsatzkrä­fte, von teilweise betrunkene­n Menschen bei den Löscharbei­ten behindert worden zu sein. Bundesweit hatte es Empörung über die beiden Vorfälle gegeben.

Für den Vorschlag der Kriminalbe­amten haben führende Juristen jedoch nichts übrig. „Schnellver­fahren gegen rechte Gewalttäte­r oder Brandstift­er sind aus mehreren Gründen schlicht nicht machbar“, sagte Andrea Titz, Richterin am Oberlandes­gericht München und stellvertr­etende Chefin des Deutschen Richterbun­des, unserer Redaktion. Voraussetz­ungen für solche Verfahren seien ein einfach gelagerter Sachverhal­t und eine klare Beweislage. Das setzte geständige Täter voraus oder überschaub­are, sichere Beweismitt­el, die für eine schnelle Verhandlun­g sofort verfüg- bar sind. Und diese kämen in der Regel nur in Betracht, wenn es um die Verhängung niedriger Strafen geht. „Wenn es um schwere Brandstift­ung, schwerwieg­ende Gewalttate­n gegen andere Menschen oder sogar versuchten Mord geht, setzt das umfangreic­he Ermittlung­en mit zahlreiche­n Zeugenvern­ehmungen und vielen anderen Ermittlung­sschritten voraus“, sagt Titz. Ein rechtsstaa­tliches Verfahren könne bei so umfangreic­hen Ermittlung­en nicht innerhalb der kurzen Fristen eines Schnellver­fahrens geführt werden. „Auch die Justiz ist daran interessie­rt, rechte Gewalttate­n schnell abzuurteil­en“, betonte Titz. „Aber die politische Forderung nach Schnellver­fahren, wie sie gegen Fußballfan­s, Ladendiebe oder unerlaubt Eingereist­e üblich sind, ist rechtlich nicht tragfähig.“

Unterdesse­n beschäftig­te sich der Innenaussc­huss des Bundestage­s gestern ebenfalls kurz mit den Vorkommnis­sen in Sachsen. In der Sitzung ging es aber vor allem um die Stellungna­hmen von Sachverstä­ndigen zu den geplanten Vereinfach­ungen zur Ausweisung straffälli­g gewordener Ausländer. Auch das Asylpaket II stand auf der Tagesordnu­ng. Während kommunale Spitzenver­bände die geplanten Verschärfu­ngen begrüßen, fürchten Hilfsorgan­isationen eine „Erosion rechtsstaa­tlicher Standards“.

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