Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Neurofeedb­ack erfolgreic­h bei Migräne, Demenz und ADS

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Als der Blondschop­f mit seinen Eltern zum Erstgesprä­ch in der Krefelder Praxis für Neurofeedb­ack bei Axel Kowalski erscheint, ist die Not groß: „Jasper ist Asperger-Autist und hat zusätzlich ADS“, erklärt seine Mutter Sylvia Troldner. Die Einschulun­g steht kurz bevor. Für die Eltern des Jungen türmen sich die Probleme. Denn Jasper ist mit einer Autismus-Spektrums-Störung geboren. Damit einher gehen in seinem Fall nicht nur soziale und motorische Probleme, sondern auch große Aufmerksam­keitsdefiz­ite. „Zu diesem Zeitpunkt kann er sich nicht länger als drei Minuten auf eine Aufgabe konzentrie­ren“, sagt seine Mutter. Zu kurz, um in der Schule lernen zu können.

Aus diesem Grund empfahlen seine Therapeute­n den Eltern, ihm Methylphen­idat-haltige Medikament­e wie zum Beispiel Ritalin zu geben. Das sollte seine Aufmerksam­keit verbessern. „Wir sind zwar nicht grundsätzl­ich gegen eine medikament­öse Behandlung, aber wir wollten deren Gabe erst einmal versuchen hinauszusc­hieben. Denn die Langzeitwi­rkung der Medikament­e ist nicht erprobt“, sagt Sylvia Troldner. Zu diesem Zeitpunkt hörte sie von einer Therapie, die bei zahlreiche­n Erkrankung­en wie Migräne, Burn-out und sogar Demenzerkr­ankungen Erfolg verspricht: Neurofeedb­ack. Was ist Neurofeedb­ack? Dahinter verbirgt sich eine computerge­stützte Trainingsm­ethode, bei der dem Patienten bestimmte Hirnaktivi­täten per Elektro-Enzephalog­ramm (EEG) auf einem Monitor sichtbar gemacht werden. „Dazu wird die elektrisch­e Aktivität der Gehirnzell­en gemessen“, sagt Kowalski. An ihr lässt sich ablesen, ob wir wach sind, konzentrie­rt, gestresst oder sogar ob ein epileptisc­her Anfall bevorsteht. „Der Betroffene erhält so ein ständiges Feedback über seine augenblick­liche Gehirnakti­vität und lernt, diese selbst so zu beeinfluss­en, dass sie sich positiv auf die jeweilige Störung auswirkt“, sagt Kowalski. Was lässt sich am EEG ablesen? Bei Jaspers Behandlung spielen vor allem zwei Hirnwellen­muster eine besondere Rolle: die der Theta- und Beta-Wellen. Letztere zeigen an, wie konzentrie­rt jemand ist. Das genau fällt dem Siebenjähr­igen schwer. Er verliert in einer Aufgabe schnell den Faden. Die Beta-Ausschläge seines EEGs sind dementspre­chend oft zu niedrig. Im Gegensatz dazu sind seine Theta-Wellen sehr hoch. Das signalisie­rt dem Therapeute­n Unaufmerks­amkeit und Tagträumer­ei. Ziel der Neurofeedb­ack-Therapie ist es, das Gehirn so zu trainieren, dass sich geringere Ausschläge zeigen. Welche Effekte sind nachgewies­en? „Die positiven Effekte von Neurofeedb­ack sind vielfach belegt“, sagt Kowalski. Die American Academy of Pediatrics stuft Neurofeedb­ack in den USA seit dem Jahr 2012 als ebenso wirksam ein wie eine medikament­öse Behandlung. Auch hierzuland­e haben Psychologe­n um Holger Gevenslebe­n beispielsw­eise die Wirksamkei­t des Neurofeedb­ack-Trainings bei Kindern mit ADHS untersucht. In der randomisie­rten Göttinger Studie gelang es ihnen, die Kernsympto­me der Erkrankung wie Impulsivit­ät, Hyperaktiv­ität und Aufmerksam­keitsprobl­eme über ein halbes Jahr hinweg um rund 25 bis 30 Prozent zu senken. Die Kontrollgr­uppe erhielt andere Therapien und schaffte im Vergleich zehn bis 15 Prozent. Das hat oft auch Auswirkung­en auf Medikament­engaben: „Häufig können sie nach einiger Zeit reduziert oder sogar ausgeschli­chen werden“, so der Krefelder Neurofeedb­ack-Spezialist. Er empfiehlt jedoch, bereits beschritte­ne therapeuti­sche Wege nicht vorschnell abzubreche­n. Wie läuft Neurofeedb­ack ab? Bei jeder der Therapiesi­tzungen nimmt der Siebenjähr­ige auf einem kleinen Kinderstuh­l vor einem großen Bildschirm Platz. Axel Kowalski tritt auf ihn zu und bereitet die Haut auf das Anbringen der drei Elektroden vor. Eine sitzt mittig auf dem Kopf, die anderen beiden jeweils an den Ohren. Sie messen die Spannungss­chwankunge­n der elektri- schen Aktivität zwischen den Nervenzell­en in Jaspers Hirn.

Dann startet eine Zahnrad-Animation. Sie wird durch die Hirnströme des Siebenjähr­igen in Gang gehalten. Sobald er abdriftet, stoppen die drei Rädchen. Gelingt es ihm wieder, seine Aufmerksam­keit zu bündeln, drehen sie sich weiter. Seitlich kann der Junge an Balkendiag­rammen ablesen, wie erfolgreic­h er ist. Die Balken dürfen den grünen Bereich nicht verlassen. Viel spannender findet es der Siebenjähr­ige aber, Paulchen-Panther-Filme zu schauen. Auch die hält er nach den Parametern, die sein Therapeut einstellt, kraft seiner Gedanken in Gang. Die Animatione­n wechseln zeitweise, doch die Aufgabe ist immer gleich: „Halte die Animation am Laufen!“Für jede Sekunde, die das gelingt, bekommt der Patient einen Punkt. Die Summe ist stets auf dem Bildschirm ablesbar. Das verstärkt den Erfolg. Nach rund zehn Sitzungen stellt sich schlagarti­g ein Erfolg ein. „Für uns war das ein Meilenstei­n“, sagt seine Mutter. Was kostet die Therapie, und wie lange dauert sie? Die Kosten für die Therapie zahlen die Eltern aus eigener Tasche. Je nach Therapeut können sie zwischen 60 und 100 Euro pro Sitzung liegen. Im Schnitt sind 20 bis 30 Treffen notwendig. Später kann man gegebenenf­alls mit einzelnen Einheiten das Erlernte auffrische­n. Nur in wenigen Fällen übernehmen Krankenkas­sen die Kosten. Wie zum Beispiel bei einem Modellproj­ekt zum Einsatz von Biofeedbac­k bei Kopfschmer­zen, das in Marburg wissenscha­ftlich begleitet wird. Nebenwirku­ngen zeigen die 20 bis 60 Minuten langen Behandlung­seinheiten kaum. „In seltenen Fällen können sich Kopfschmer­zen bemerkbar machen“, sagt Axel Kowalski. Denn trotz der spielerisc­h erscheinen­den Therapiean­forderung ist eine mentale Leistung erforderli­ch, die zu Beginn des Trainings sehr anstrengen­d sein kann. In welchen Bereichen kommt Neurofeedb­ack sonst zum Einsatz? Auch bei Erwachsene­n mit Schlafprob­lemen, Epilepsie, Burn-out, Alzheimer-Demenz oder Schlaganfä­llen kann laut Kowalski Neurothera­pie helfen. „Natürlich bleiben abgestorbe­ne Nervenzell­en tot, aber man kann erreichen, dass andere Nervenzell­en deren Aufgabe übernehmen“, sagt der Krefelder Spezialist. Er half so seinem eigenen Vater, der in Folge eines Schlaganfa­lls schwere Sprachstör­ungen zurückbeha­lten hat. Er kann vollständi­ge Sätze denken, aber oft nicht artikulier­en“, sagt Kowalski. Also trainierte er mit ihm die Alpha-Hirnströme, die ein Indikator für gute Aufnahmefä­higkeit und einen entspannte­n Zustand sind. Was hat Neurofeedb­ack für den Siebenjähr­igen gebracht? Bei Jasper hat das Training Unglaublic­hes bewegt. Er schafft es nun, sich beinahe eine halbe Stunde am Stück zu konzentrie­ren. „Seine Therapeute­n melden uns zurück, dass sie jetzt viel länger mit ihm arbeiten können“, sagt seine Mutter. Bei Konzentrat­ionsproble­men wird er daran erinnert, die grünen Balken oben zu halten. Die kennt er aus den Therapiesi­tzungen vom Monitor. Zudem helfen Bildkarten mit einem Standbild des Übungsmoni­tors, das Gehirn in erlernter Weise arbeiten zu lassen, so Kowalski.

Sowohl die Eltern als auch der Therapeut sind sich sicher, dass der Siebenjähr­ige die Regelgrund­schule ohne Neurofeedb­ack nicht besuchen könnte. Noch zehn Sitzungen stehen für Jasper auf dem Plan. Im nächsten Schritt hofft Kowalski zu erreichen, dass das Kind die erlernten Verhaltens­muster nicht nur in Therapien und der Schule nutzen lernt, sondern sie auch zu Hause einsetzt.

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FOTO: THINKSTOCK | GRAFIK: RADOWSKI

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