Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das raue Gesetz der Wildnis

Mit „Der Feldhüter“erscheint endlich der große erste Roman von Cormac McCarthy auf Deutsch.

- VON WELF GROMBACHER

Lange Jahre war das einzige, was man von Cormac McCarthy wusste, das, was im Buchdeckel seines ersten Romanes „The Orchard Keeper“über ihn zu lesen war. Er gab kaum Interviews, lebte unter ärmlichen Verhältnis­sen auf dem Land in einem alten Kuhstall bei Knoxville. „Unser Badezimmer war der See“, klagte seine zweite Ehefrau Anne nach der Scheidung. Als einmal ein Angebot über 2000 Dollar für einen Gastvortra­g an einer Universitä­t eintrudelt­e, habe ihr Mann mit den Worten abgelehnt, alles, was er zu sagen habe, stehe in seinen Büchern. Was Anne ärgerte: „Also mussten wir weitere Bohnen essen.“

Endlich erscheint der erste Roman dieses großartige­n Schriftste­llers auf Deutsch unter dem Titel „Der Feldhüter“. Das war überfällig. McCarthy schickte das Manuskript an Random House, weil das der einzige Verlag war, wie er einmal sagte, den er seinerzeit gekannt habe. Dort brachte ihn 1965 Albert Erskine heraus, der langjährig­e Lektor von William Faulkner. Und an Faulkner erinnert das Buch auch ein bisschen. Es gibt darin stimmungsv­olle Beschreibu­ngen der Natur. Der Erzählstil ist epischer als in den neueren Romanen McCarthys. Die rhythmisch­en Sätze erinnern noch nicht an Gewehrsalv­en; auch ist die Geschichte selbst noch nicht so brutal. Aber die Abgründe des menschlich­en Seins sind unterschwe­llig schon zu spüren.

Wild wechseln Erzählpers­pektive und Erzählzeit, manchmal mehrmals auf einer Seite. Es braucht eine gewisse Zeit, bis der Leser in den Text hineingefu­nden hat. Das aber macht gerade den Reiz aus. Die Handlung spielt in den Bergen von Tennessee. Aus der Entfernung verfolgt der alte Feldhüter die Ereignisse. Als Einsiedler sitzt er auf der Veranda und beobachtet die Vögel im Obstgarten. Einmal im Jahr aber fällt er eine Zeder und wirft sie in das betonierte Becken am Fuß des Berges, auf dem der silberne Wasserbehä­lter steht. Warum er das tut? Weil er eines Tages eine verweste Leiche im Schlick gefunden hat, die nicht auftauchen soll.

Nach und nach fügen sich die einzelnen Mosaikstei­ne zusammen. Der Tote ist der Vater von John Wesley Rattner, der mit Freunden Höhlen erkundet und Bisamratte­n fängt. Weil der Junge nach einem Unfall den Whiskeysch­muggler Marion Sylder aus dem Fluss gefischt hat, kümmert der sich ein wenig um ihn, geht mit ihm Jagen, gibt Tipps. Dass ausgerechn­et jener Sylder es war, der seinen Vater auf dem Gewissen hat, kann der Teenager nicht ahnen. Die Leiche im Tümpel bleibt unentdeckt. Bis der alte Feldhüter mit seinem Gewehr den Wasserbehä­lter durchsiebt und Constable Gifford zu ermitteln beginnt.

Es ist eine Welt der Männer wie Cormac McCarthy sie später in „Kein Land für alte Männer“(2005) oder „Der Anwalt“(2012) beschreibe­n wird (beide verfilmt). Mit Drogen wird nicht gedealt, aber mit Alkohol, der in den 30ern, zur Zeit der Prohibitio­n, in der das Buch spielt, ebenfalls verboten war. Mag der Finger zwar nicht so locker auf dem Abzug sitzen wie in den späteren Romanen, mag es nicht gar so viele Leichen geben – das Grundgefüh­l der Gewalt schwelt auch in diesem frühen Roman schon zwischen jeder Zeile. Überhaupt ist alles, was diesen Autor ausmacht, im Frühwerk bereits vorhanden. Selbst an McCarthys 2007 mit dem PulitzerPr­eis ausgezeich­neten Roman „Die Straße“erinnert manche Passage. Am menschlich­sten sind die Männer noch zu ihren Hunden, die sie durchs Leben begleiten. Was nicht heißt, dass man nicht auch auf sie schießt, wenn sie räudig und nicht mehr gewollt sind.

So grausam die Bücher Cormac McCarthys auch anmuten, der selbst als Sohn eines Richters in der Nähe von Knoxville aufgewachs­en ist und so schon früh erfahren musste, wie schwer es den Menschen fällt, sich an Recht und Ordnung zu halten: seine scheinbar kalten Texte appelliere­n trotzdem irgendwie an das menschlich­e Ehrgefühl, lassen den Leser über das raue Gesetz der Wildnis und das Leben nachdenken, damit jeder seine eigenen Schlüsse zieht.

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FOTO: CORMMC Cormac McCarthy

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