Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wo bleibt die Europa- Begeisteru­ng?

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Es ist ein Jammer – oder vielleicht auch bezeichnen­d – , dass über das Jahrhunder­tprojekt Europa im Wesentlich­en nur Staatsleut­e von Rang, aber leider oft auch von gestern begeistert, eindringli­ch und beschwören­d sprachen oder sprechen: etwa Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher, der krankheits­bedingt weitgehend verstummte „Kanzler der Einheit“, Helmut Kohl, oder der bald aus dem Amt scheidende USPräsiden­t Barack Obama.

Obama, einer der besten politische­n Redner der letzten Jahrzehnte, schaffte neulich bei seiner Abschiedsv­isite in Deutschlan­d das, - was den Europa-Verzagten und -Verdrossen­en hierzuland­e kaum je gelingen will: eine packende, optimistis­ch grundierte Ansprache über das Grandiose, das Historisch­e zu halten, was auf dem Kontinent alles gelungen ist in den vergangene­n sechs Friedens-Jahrzehnte­n.

Die Granden der deutschen Politik beherrscht­en noch die Erzählung über Europa; der Ausnahme-Redner Barack Obama ebenfalls. Wer sonst aber kann Europas Jugend mit dem Keim der Jahrhunder­tidee infizieren?

Wo bleibt in Europa die große politische Erzählung über Europa? Wem unter den gegenwärti­gen Akteuren der deutschen und europäisch­en Politik traut man die Inspiratio­n zu, junge, politisch engagierte Menschen zwischen Kopenhagen und Köln, Bordeaux und Barcelona mit dem Virus Europa zu infizieren? Dieser Keim macht nicht krank, er könnte vielmehr Körper und vor allem Geist in Schwung bringen für eine Idee, die es nun wahrlich wert ist, wiederbele­bt zu werden.

Es ist ja nicht alles verdammens­wert am Programm der Alternativ­e für Deutschlan­d; aber deren Europa-Abneigung erscheint doch besonders töricht. Wer Europa zu Grabe tragen will, versündigt sich an Deutschlan­d und an den kommenden Generation­en. Ich plädiere nicht naiv für ein europäisch­es „Weiter so“. Im Gegenteil. Wie bei einem Baum, den es gilt, gesund zu erhalten, müssten mit vereinten euro- päischen Kräften wuchernde Äste zurück- oder abgeschnit­ten werden; allein an Stamm und Wurzeln sollte niemand so, wie die AfD das im Schilde führt, die Axt anlegen.

Schlimm sind neben erklärten Europa-Feinden diejenigen in Berlin, Paris, London, Warschau, Prag oder Budapest, die europäisch mit kleinen Münzen klimpern, ohne in der Lage oder willens zu sein, das historisch Bedeutende sichtbar werden zu lassen. Wenig überzeugen­d und gar nicht mitreißend wirken auch die aktuellen Köpfe von EU- Parlament und EU- Kommission.

Martin Schulz und Jean-Claude Juncker beherrsche­n als Routiniers zwar die Straßburge­r und Brüsseler Klaviatur; aber welcher junge, begeisteru­ngsfähige europäisch­e Mensch möchte nach solchen Altmänner-Melodien tanzen? Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-Post.de

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