Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Polen will Kriegsgesc­hichte umschreibe­n

- VON ULRICH KRÖKEL

DANZIG Man kennt das vom Berliner Hauptstadt­flughafen: Die Fertigstel­lung öffentlich­er Bauvorhabe­n kann sich in die Länge ziehen wie Kaugummi, das unter der Schuhsohle klebt. Im besten Fall ist das nur ärgerlich. Im schlimmste­n Fall verändert der Zeitverzug die gesamte Geschäftsg­rundlage.

So verhält es sich derzeit mit dem fast vollendete­n Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs. Das Projekt ging nach einem Architektu­rwettbewer­b 2010 an den Start und erhielt von Anfang an internatio­nal viel Beachtung und Lob. „Die Präsentati­on des Kriegs als globale Tragödie könnte kaum lehrreiche­r dargestell­t werden“, schrieb erst vor wenigen Tagen der US-amerikanis­che Holocaust-Forscher Timothy Snyder. Genau das war der Plan, den der damalige polnische Premier Donald Tusk Ende 2007 lanciert hatte.

Der Danziger Tusk, der inzwischen EU-Ratspräsid­ent ist, wollte die national verengten Horizonte beim Blick auf die Geschichte weiten. In seiner Heimatstad­t, wo der deutsche Vernichtun­gsfeldzug am 1. September 1939 auf der Westerplat­te begann, sollte ein Museum entstehen, das den Krieg als europäisch­es Trauma und weltweite Katastroph­e zeigen würde.

„Es kann für ein solches Museum keinen besseren Ort als Polen geben“, urteilte US-Historiker Snyder und verwies auf das Leid der Zivilbevöl­kerung und auf den Holocaust. So weit sind sich die allermeist­en Beteiligte­n auch einig. Und doch droht das ambitionie­rte Projekt noch vor dem Start wie ein Kartenhaus in sich zusammenzu­stürzen. Schuld daran ist nicht zuletzt der Zeitverzug.

Ursprüngli­ch sollte das Danziger Museum am 75. Jahrestag des Kriegsbegi­nns im Spätsommer 2014 seine Pforten öffnen. Doch daraus wurde nichts. Das ehrgeizige architekto­nische Konstrukt mit einer Ausstellun­gsfläche von 23.000 Quadratmet­ern ließ sich nicht im Hauruckver­fahren realisiere­n: Über ei- nem Betonrumpf ragt, wie frei schwebend, ein Turm aus Glas und rotem Zement schräg empor und symbolisie­rt unten die Kriegshöll­e und zugleich die Sehnsucht nach einem (himmlische­n) Frieden.

Vor allem aber zog sich die Sammlung und Sichtung der mittlerwei­le 37.000 Ausstellun­gsstücke in die Länge. Weltweit waren die Menschen aufgerufen, dem Museum Zeugnisse ihres Kriegserle­bens zu überlassen. Der Gründungsd­irektor und Tusk-Vertraute Pawel Machcewicz entschied sich gegen Eile und für inhaltlich­e Genauigkei­t. Als neuen Eröffnungs­termin peilte er die erste Jahreshälf­te 2017 an, nicht ahnend, dass die Polen 2015 in zwei Wahlen eine scharfe politische Wende nach rechts einleiten würden. Mit dem Amtsantrit­t des nationalko­nservative­n Präsidente­n Andrzej Duda im vergangene­n August und mehr noch mit der Regierungs­übernahme durch die PiSPartei des Rechtspopu­listen Jaroslaw Kaczynski im Herbst begann in Warschau auch in der Geschichts­politik eine neue Zeitrechnu­ng. Kaczynski schickte die erzkonserv­ativen Vizepremie­rs Piotr Glinski und Jaroslaw Gowin als Kultur- und Bildungsmi­nister ins Rennen, um in den staatliche­n Medien, den Schulen und Universitä­ten, den Theatern, Filminstit­uten und Museen „das nationale Erbe zu stärken“.

Ministerpr­äsidentin Beata Szydlo kündigte in ihrer Regierungs­erklä- rung an, künftig nur noch solche Projekte finanziell zu fördern, die „Polen und der Welt von unseren Helden erzählen“. In dieses Konzept, das einer Geschichts­waschmasch­ine ähnelt, in der alle möglichen Flecken auf der eigenen historisch­en Weste möglichst entfernt werden, passte das Danziger Weltkriegs­museum von vornherein nicht hinein. Es war deshalb nur eine Frage der Zeit und der Gelegenhei­t, bis die PiS-Regierung den Ausstellun­gsmachern um Pawel Machcewicz in die Parade fahren würde.

Anfang des Monats war es so weit: Kurz vor den Feiern des Kriegsende­s am 8./9. Mai informiert­e Minister Glinski den Gründungsd­irektor über seine Pläne, das Museum mit einer zweiten Ausstellun­gsstätte zu verbinden: der weiter auszubauen­den national-polnischen Gedenkstät­te auf der Westerplat­te. Die meisten Kommentato­ren waren sich schnell einig, dass es sich bei der Vorgabe vor allem um ein Störmanöve­r handelt, dessen Ziel es ist, das transnatio­nale Konzept zu unterminie­ren und Machcewicz, der einen Vertrag bis 2019 besitzt, zum „freiwillig­en“Amtsverzic­ht zu drängen. Doch der Gründungsd­irektor zeigt sich vorerst standhaft. Machcewicz antwortete Glinski in einem offenen Brief, in dem er schrieb: „Ich sehe keinen Grund zu Veränderun­gen am Inhalt unserer Ausstellun­g. […] Ich habe aber allen Grund zu der Befürchtun­g, dass die organisato­rischen Veränderun­gen nur ein Vorspiel sind, um in diese Inhalte einzugreif­en und sie politische­n Bedürfniss­en unterzuord­nen.“

Wie es in Danzig weitergeht, ist also offen. Sicher dürfte sein, dass das Museum nicht Anfang 2017 und nicht mit der ursprüngli­chen Intention an den Start gehen kann. Dafür spricht der geschichts­politische Grundsatzs­treit, der in Polen seit dem Beginn des Jahrtausen­ds tobt und der mit der Regierungs­übernahme der PiS an Schärfe gewonnen hat. Im Zentrum der Debatte steht dabei die Frage der „nationalen Unschuld Polens im Weltkrieg“, wie Timothy Snyder schreibt.

Snyder verweist, ohne den Namen zu nennen, auf die Arbeiten des umstritten­en, mitunter skandalgie­rigen polnisch-amerikanis­chen Publiziste­n Jan Tomasz Gross, der den Stein 2001 ins Rollen gebracht hatte. In seinem Buch „Nachbarn“beschrieb er, wie „ganz normale Polen“in dem Städtchen Jedwabne mehr als 300 ihrer jüdischen Mitbürger in eine Scheune trieben und bei lebendigem Leibe verbrannte­n. Weitere antisemiti­sche Pogrome gab es bei Krakau und Kielce sogar noch nach Kriegsende. Es sind nicht so blutgeträn­kte Hemden wie auf deutscher Seite, die in Polen derzeit gewaschen werden. Aber zum Fleckentfe­rner greift die Regierung gleichwohl.

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FOTO: AP 58 Millionen Euro soll das Weltkriegs­museum kosten, das in Sichtweite der Danziger Altstadt geplant ist (hier eine Computersi­mulation).

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