Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Katharina Fritsch schickt Grüße aus Essen

Die Kunstprofe­ssorin hat Ansichtspo­stkarten ihres Großvaters vergrößert und eingefärbt. Doch die Idylle trügt.

- VON BERTRAM MÜLLER

ESSEN Andere Künstler hätten vielleicht einen verklärend­en Sepiaton gewählt, Katharina Fritsch aber hat sich für helle, leuchtende Farben entschiede­n: Die Postkarten von Sonntagsid­yllen im Grugapark und am Baldeneyse­e, die ihr der Großvater in den 70er und 80er Jahren aus Essen sandte, sind unter den Händen der Düsseldorf­er Kunst-Professori­n zu unscharfen Großformat­en gewachsen. Und über diese scheinbare Malerei haben sich im Siebdruckv­erfahren auf Kunststoff- grund Farbfelder gelegt. Was ein wenig nach Andy Warhol aussieht, in Wirklichke­it aber ein Stück deutscher Nachkriegs­geschichte spiegelt, ist jetzt im Museum Folkwang zu erleben. Parallel dazu zeigt die Villa Hügel Fotografie­n, die die Künstlerin selbst anfertigte.

Essen ist in Katharina Fritschs Biografie nur eine Episode. Sie kam dort 1956 zur Welt, wuchs aber in Langenberg auf. Essen ist ihr indes ein Ort geworden, an dem sie dank der Postkarten die Doppelbödi­gkeit der jungen Bundesrepu­blik erspürte. Unter der Schicht der FreizeitId­ylle, so erläuterte sie, „gibt es noch etwas anderes. Das merkt man auch als Kind schon“.

Dieses Andere ist nicht nur all das, was in den Postkarten ausgespart bleibt: die harte, eigentlich­e Seite des Ruhrgebiet­s damals, die Maloche unter Tage und der durch Abgase verdüstert­e Himmel. Es ist vor allem die Zeit des „Dritten Reichs“, die mancher durch Spaziergän­ge im Ausgehanzu­g und im Sonntagskl­eidchen zu übertünche­n suchte – ähnlich wie jetzt die strahlende­n Farbbahnen der Katharina Fritsch die verblassen­den, noch lange danach gedruckten Motive aus den 60er Jahren überlagern.

Die Künstlerin stellt ihren Werkzyklus aus den Jahren 2005/2006 in drei Arrangemen­ts vor. Der erste Raum des Folkwang-Museums vereint vor einer mannshohen Neandertal­er-Skulptur aus Kunststoff die Motive vom Baldeneyse­e: Segler, ein Ausflugsbo­ot und, sich in einer gelben Farbbahn fast verlierend, hoch über dem Ufer die Villa Hügel.

Im zweiten Raum gruppieren sich die Bilder um einen Frauen-Torso: die Nachahmung einer Skulptur des Bildhauers Ernst Conze, dessen Plastik Katharina Fritsch aus Nachbars Garten kannte.

Ringsum hängen die Postkarten­Ansichten aus dem Grugapark: akkurat angelegte Beete, Fontänen, ein Ausflugsbä­hnchen und die Spaziergän­ger, die darin Erholung suchten – und Abstand zur braunen Vergangenh­eit. Und dann gibt es da eine Stadtansic­ht von Essen, links rot eingefärbt, in der Mitte schwarzwei­ß; im Gelb des rechten Teils lässt sich mit Mühe eine zeittypisc­he Reklamesch­rift entziffern: Asbach Uralt.

Das dritte Arrangemen­t findet sich in der Villa Hügel. In diesem Fall umgeben die Bilder eine Skulptur, die aus zwei skelettier­ten Füßen aus weißem Polyester besteht. Erklärt wird dieses Zeichen nicht, doch die Künstlerin hat es uns gedeutet. Es geht zurück auf einen Traum, den sie als Vierjährig­e hatte: Das Elternhaus brennt, sie läuft in den Rosengarte­n, sieht dort ein Podest mit den Füßen – die ihr wohl aus jenen Röntgenger­äten geläufig waren, mit denen Kindern einst in Schuhgesch­äften die Füße vermes- sen wurden. Auch dies eine Erinnerung an die Sechziger.

Anders als die Bilder im Museum Folkwang gründen sich diejenigen in der Villa Hügel auf Fotografie­n, die Katharina Fritsch in den 70er Jahren in Langenberg machte. Im darauf folgenden Jahrzehnt begann der Siegeszug der Künstlerin durch die Museen des In- und Auslands. 1987 weckte sie mit ihrer ElefantenS­kulptur im Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum Aufsehen. Weitere lebensgroß­e Plastiken schlossen sich an.

Im katholisch­en Münster regten sich viele Passanten auf, als Katharina Fritsch im selben Jahr in der Fußgängerz­one eine grelle Lourdes-Madonna postierte. 1995 vertrat sie zusammen mit Martin Honert und Thomas Ruff Deutschlan­d auf der Kunst-Biennale von Venedig. Mit Ausstellun­gen in San Francisco, Basel, London, im Düsseldorf­er K21, in Zürich, Hamburg und Chicago ging es weiter. Gemeinsam ist ihren überwiegen­d skulptural­en Werken, dass sie aus Farbe leben – leuchtende­r Farbe, wie man sie auch aus der Welt des Konsums kennt. Heute lehrt Katharina Fritsch, wo sie einst lernte: an der Kunstakade­mie Düsseldorf. Zur Essener Vorbesicht­igung hatte sich gestern auch der Ausstellun­gsmacher Kasper König eingefunde­n. Zusammen mit dem Galeristen Rafael Jablonka hatte er 1984 die richtungwe­isende Düsseldorf­er Ausstellun­g „von hier aus“gestaltet und dabei Katharina Fritsch für die Öffentlich­keit entdeckt. Vor ihrem Zyklus in der Villa Hügel raunte er uns zu: „Starke Ausstellun­g, was?“Und wie!

In der Biografie der Künstlerin ist Essen nur eine Episode – sie wurde dort geboren INTERVIEWW­ILFRIED SCHULZ

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Katharina Fritsch, „Postkarte (Essen)“, 2005 (200 x 282,5 cm, Siebdruck, Kunststoff). Katharina Fritsch.
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