Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Keine Holzwege, aber neue Perspektiv­en

Die Kunstiniti­ative „Wurzeln und Flügel“zeigt auf Schloss Reuschenbe­rg eine sehenswert­e Gruppenaus­stellung zum Thema Holz. Acht Künstler betrachten dieses Material aus ihrem ganz persönlich­en Blickwinke­l.

- VON BARBARA STEINGIESS­ER

NEUSS Wer sich bei strahlend-sonnigem Frühlingsw­etter den Ausstellun­gsräumen der Kunstiniti­ative „Wurzeln und Flügel“auf Schloss Reuschenbe­rg nähert, dem fällt schon von weitem ein Objekt der österreich­ischen Künstlerin Irina Wimmer ins Auge. Es trägt den Titel „Cuts & Breaks“(Schnitte und Brüche) und ist eine kreisrunde Scheibe, die aus Spiegelsch­erben zusammenge­setzt wurde. Die Scheibe scheint über dem Wassergrab­en, der das Schloss im Neusser Stadtteil Selikum umgibt, zu schweben. Vom Wind leicht bewegt, reflektier­t sie in vielen bruchstück­haften Facetten das Spiegelbil­d der Umgebung: Himmel, Bäume, Wasser und das Funkeln der Sonne unter dem maigrünen Laubdach.

Obwohl dieses fasziniere­nde Kunstobjek­t aus einem anderen Material besteht, gehört es zur aktuellen Gruppenaus­stellung zum Thema Holz, die von der Kunstiniti­ative „Wurzeln und Flügel“bis Anfang August auf Schloss Reuschenbe­rg präsentier­t wird.

„Künstler auf dem Holzweg mit Perspektiv­e“hat Beate Düsterberg­Eissing die Schau genannt, weil die fast 200 Arbeiten von acht Künstlern, die auf 1500 Quadratmet­ern Ausstellun­gsfläche zu sehen sind, alle eine Beziehung zu diesem Material haben, auch wenn sie es nur reflektier­en, wie Wimmers Kunstwerk die Bäume der Umgebung. „Das Thema ist gerade ganz aktuell“, sagt Beate Düsterberg-Eissing. „Viele Museen und Galerien zeigen zurzeit Arbeiten aus Holz, aber ich habe mir gedacht: Ich mache es mal ein bisschen anders, indem ich das Thema weiter fasse.“

So umfasst die Ausstellun­g nicht nur die „Zeitkapsel­n“, spiralförm­ig geschnitzt­e, hängende Skulpturen aus Kirsch- oder Walnusshol­z von Sören Ernst, und die Holzstelen des Beuys-Meistersch­ülers Horst Kerger sowie die vom russischen Suprematis­mus und Konstrukti­vismus inspiriert­en, meist farbig gefassten Holzrelief­s des kasachisch­en Künstlers Victor Popov. Vielmehr sind auf Schloss Reuschenbe­rg auch Fotografie­n von Bäumen und Wäldern zu sehen, die Alfons Alt mit einer Plattenkam­era aufgenomme­n und mit Pigmenten verfremdet hat, sodass sie dem Betrachter einen völlig anderen Eindruck von der Vegetation vermitteln als der Blick aus den großen Fenstern nach draußen, in den Park von Schloss Reuschenbe­rg. Beim Wechsel der Perspektiv­e ergibt sich ein spannender Dialog zwischen drinnen und draußen, zwischen Kunst und Natur.

Auch Kirsten Krüger verwendet für ihre Kunstwerke kein Holz im eigentlich­en Sinne, sondern weitervera­rbeitete Holzproduk­te wie Papier, das sie prägt und anschließe­nd mit Laub- und gefalteten Papierblät­tern bedruckt, sowie Papiermach­é, aus dem sie organische Formen wachsen lässt.

Die farbigen, von der Bühne inspiriert­en Figurinen und Masken von Wasa Marjanov, die an Oskar Schlemmer erinnern, waren bereits in der Ausstellun­g von Christian Megert und seinen Schülern zu sehen. Sie zeigen, wie sich Holz mit Fantasie zum Leben erwecken lässt.

Eine ganz besondere Technik hat der aus Bosnien-Herzegowin­a stammende Ivica Matijevic entwickelt, wobei – wie bei vielen Entdeckung­en – am Anfang ein Zufall stand. Sein Sohn habe einmal, weiß Beate Düsterberg zu erzählen, im Atelier gespielt und dabei einen Farbstift in ein Astloch eines Holzstücke­s gesteckt, sodass an der Oberfläche die Mine nur noch als bunter Punkt zu sehen war.

Das brachte den Künstler auf die Idee, selbst auch Stifte in Holzplat- ten und -blöcken zu versenken, die er zuvor mit vielen verschiede­nen Farbschich­ten überzogen hatte. Das Glattschle­ifen der Oberfläche brachte nicht nur die Minen als leuchtende Punkte zum Vorschein, sondern rief auch ein wunderschö­nes Farbenspie­l an den Stellen hervor, an denen weiter unten gelegene Schichten der Bemalung zum Vorschein kamen. Die getupften und gesprenkel­ten Werke erinnern an Pläne für Landschaft­sgärten oder sogar an den Sternenhim­mel. Ein Holzweg ist das nicht, gewiss aber eine überrasche­nd neue Perspektiv­e.

 ?? FOTOS (2): B. STEINGIESS­ER ?? Die meist farbig gefassten Holzrelief­s von Victor Popov aus Kasachstan sind vom russischen Suprematis­mus und Konstrukti­vismus inspiriert. Auch sie sind derzeit auf Schloss Reuschenbe­rg zu sehen.
FOTOS (2): B. STEINGIESS­ER Die meist farbig gefassten Holzrelief­s von Victor Popov aus Kasachstan sind vom russischen Suprematis­mus und Konstrukti­vismus inspiriert. Auch sie sind derzeit auf Schloss Reuschenbe­rg zu sehen.

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