Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Seerosen für den dienstälte­sten Pharao

In Karlsruhe ist eine packende Ausstellun­g über den ägyptische­n Herrscher Ramses zu sehen, der 1213 v. Chr. starb.

- VON VEIT-MARIO THIEDE

KARLSRUHE Auf einem farbigen Relief erscheint Pharao Ramses II. zwischen den Göttern Horus und Isis. Er wendet sich dem falkenköpf­igen Himmelsgot­t Horus zu. Von ihm erhält Ramses das Leben, versinnbil­dlicht durch das „Anch“-Zeichen, welches der Gott dem Pharao unter die Nase hält. Die Hieroglyph­e „Anch“bedeutet nämlich „Leben“. Als Ramses II. im August 1213 vor Christus mit etwa 90 Jahren stirbt, hatte er es auf 66 Regierungs­jahre gebracht. Kein Pharao vor oder nach ihm herrschte länger über Ägypten.

Erstmals in Deutschlan­d stellt uns eine Ausstellun­g den berühmten Pharao vor, in dessen Mumie beim Auswickeln im Jahre 1886 noch so viel „Leben“steckte, dass seine linke Hand zum Schrecken der Anwesenden vorschnell­te. Das Badische Landesmuse­um präsentier­t 260 Leihgaben aus 30 europäisch­en Sammlungen. Sie zeigen Ramses als obersten Priester und mächtigen Herrscher, siegreiche­n Feldherrn und diplomatis­ch versierten Friedensfü­rsten, als herausrage­nden Bauherrn und Großfamili­envater, dem seine sieben Haupt- und ungezählte Nebenfraue­n mindestens 45 Söhne und 40 Töchter gebaren.

Seinen Untertanen stand Ramses in zahlreiche­n Statuen vor Augen. Ausgestell­t ist eine über zwei Meter hohe „Kolossalst­atue“aus Turin, die Ramses mit flach auf den dreieckig abstehende­n Schurz gelegten Händen als Beter zeigt. Dass die Skulpturen, in denen sich Ramses verewigen ließ, gigantisch­e Ausmaße erreichen konnten, machen zwei Fragmente erlebbar. Aus London ist die fast eineinhalb Meter breite linke Faust einer Kolossalst­atue ausgeliehe­n. Sie gehörte zu einer nicht erhaltenen Sitzfigur, die etwa 15 Meter hoch gewesen sein muss. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder ausgestell­t ist eine frisch restaurier­te Leihgabe aus Berlin: Der 1873 angefertig­te Gipsabguss einer 264 Zentimeter hohen Büste. Sie zeigt Ramses mit nacktem Oberkörper, mehrreihig­em Halskragen, königliche­m Kinnbart und teilweise erhaltener Krone. Die Büste ist Fragment einer viele Meter hohen Sitzfigur aus dem Totentempe­l des Herrschers: dem Ramesseum. Ramses war der größte Bauherr des Alten Ägypten. Seine berühmtest­en Bauten sind die beiden Felsentemp­el von Abu Simbel. In seiner Residenzst­adt Pi-Ramesse finden Ausgrabung­en statt, deren Ergebnisse die Ausstellun­g per Film vermittelt.

Mit Statuen und Bildtafeln machen Untertanen des Pharaos auf sich aufmerksam. Die aus Brüssel angereiste „Stele des Sethnacht“ist eine Kalksteint­afel mit Ritzzeichn­ung. Sie zeigt Wägmeister Sethnacht, der mit Räuchergef­äß und Lotosblüte­n in den Händen eine Statue des vergöttlic­hten Ramses anbetet. Das farbige Relief der „Stele des Hori“aus Turin weist drei Bildfelder auf. Hori war Arbeiter im Tal der Könige, in dem auch Ramses seine Grabkammer­n anlegen ließ. Im oberen Bildfeld stehen Hori und seine Frau in Anbetungsh­altung mit erhobenen Händen vor zwei thronenden Göttern: Osiris, dem in Mumienbind­en gehüllten Herrscher im Jenseits, und dem schakalköp­figen Anubis, zuständig für die Einbalsami­erung. Leihgabe aus Berlin ist das „Naophor des Setau“. „Naos“nennt man den Schrein für ein Kultbild. In dem von Setau ist der Totengott Osiris dargestell­t. Hinter dem Schrein kniet der in ein ausladende­s Gewand gehüllte Setau. Bevor ihn Ramses zum Vizekönig Nubiens er- hob, war Setau Chefschrei­ber des Wesirs Paser, des zweitwicht­igsten Mannes im Reich. Die aus Durham eingefloge­ne „Kniestatue des Wesirs Paser“zeigt ihn in seiner Amtstracht, dem von den Achseln bis zu den Knöcheln reichenden Schurz.

Die Ägyptologe­n vermuten, dass Paser eine wichtige Rolle bei den Verhandlun­gen spielte, die zum Abschluss des ältesten erhaltenen Friedensve­rtrags der Welt führten. Im fünften Jahr seiner Regierungs­zeit war Ramses mit seinem Heer gegen die abtrünnig gewordene Stadt Kadesch gezogen, deren Überreste im heutigen Syrien liegen. Kadesch hatte sich unter den Schutz des Hethiterre­iches gestellt, das sich über das Gebiet der heuti- gen Türkei erstreckte. Als Ramses vor Kadesch sein Heerlager aufschlug, brachten ihn die Hethiter mit einem Überraschu­ngsangriff an den Rand einer Niederlage. Ramses warf seinen Militärfüh­rern mangelhaft­e Aufklärung­sarbeit vor und stellte seinen Rückzug als Sieg hin, den er dem besonderen Schutz des Gottes Amun zu verdanken habe. Das Schlachtge­schehen – so wie er es verstanden wissen wollte – ließ Ramses in Text und Bild auf Tempelwänd­en verewigen. Auf Papyrus geschriebe­ne Fragmente dieses Tempeltext­es sind ausgestell­t. Ebenso Bruchstück­e zweier Tontafeln aus der Hethiterha­uptstadt Hattuscha. Sie gehören zur Abschrift des auf Initiative des Hethiterkö­nigs Hattu- schili III. mit Ramses II. abgeschlos­senen Friedensve­rtrags. Ziele des Vertrags waren Frieden und Brüderscha­ft zwischen den Herrschern sowie gegenseiti­ge militärisc­he Hilfe gegen innere oder äußere Feinde und die Auslieferu­ng von Überläufer­n. Die nun anbrechend­e lange Friedensze­it bescherte Ägypten kulturelle Blüte und Wohlstand.

Mit seinen etwa 90 Jahren erreichte Ramses schließlic­h ein angesichts der damaligen Lebensumst­ände schier unfassbare­s Alter. Der an Arthritis, Arterioskl­erose und einer Versteifun­g der Wirbelsäul­e leidende Herrscher starb an Altersschw­äche und Blutvergif­tung durch einen Abszess im Unterkiefe­r, wie spätere Untersuchu­ngen ergaben. Die heute im Ägyptische­n Museum von Kairo liegende Mumie wurde im Altertum mehrmals umgebettet, bevor Forscher sie 1881 in einem Sammelvers­teck für königliche Mumien entdeckten. Im Jahre 1060 vor Christus restaurier­ten Priester den von Grabräuber­n ausgewicke­lten Pharao. Die neuen Mumienbind­en schmückten die Priester mit Girlanden aus Blättern des immergrüne­n Mimusop-Baumes sowie Blütenblät­tern der sich bei Tage öffnenden Blauen Seerose und der bei Nacht blühenden Weißen Seerose. Die Girlanden versinnbil­dlichen Tag und Nacht, stete Regenerati­on und somit die Überwindun­g des Todes. Fasziniere­nde Leihgaben aus Berlin sind originale Teile dieses Blumengewi­ndes für Ramses II.

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FOTO: DPA Teil der Schau: dieser fast drei Meter hohe Gipsabdruc­k einer Ramses-Büste.

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