Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Stadt hat endlich einen Haushalt

Bis nach Mitternach­t haben die Ratsmitgli­eder gestern kontrovers über den Haushalt diskutiert. Dann wurden die städtische­n Finanzen verabschie­det. Einigkeit herrschte in den meisten Punkten allerdings nicht.

- VON RUDOLF BARNHOLT

KAARST Die gute Nachricht: Kaarst hat seit Freitag, 10. Februar, 0.14 Uhr einen Haushalt – einen, der nicht in die Haushaltss­icherung führen wird, wie Kämmerer Stefan Meuser bemerkte. Viel mehr Positives gibt es von der Mammut-Sitzung nicht zu berichten. Die Sparvorsch­läge des Fünfer-Bündnisses reduzierte­n das Defizit von rund 4,25 Millionen Euro gerade mal um 60.000 Euro. Für viele Anträge gab es keine Mehrheit, andere wurden an die Fachaussch­üsse, vornehmlic­h an den Haupt- und Finanzauss­chuss, verwiesen. Durch den Verzicht auf die Erhöhung der Grundsteue­r B stieg das Haushaltsd­efizit auf jetzt rund fünf Millionen Euro.

Das dürfte es noch nicht gegeben haben: Kurz vor Mitternach­t wurde beschlosse­n, auf die Haushaltsr­eden zu verzichten. Stattdesse­n gaben alle Fraktionsv­orsitzende­n ein Statement ab. Lars Christoph (CDU) sagte, dass der Haushalt aus Sicht seiner Fraktion zustimmung­sfähig sei: „Es ist jetzt Zeit, zur richtig harten Sacharbeit zurückzuke­hren.“Anneli Palmen (SPD) war enttäuscht: „Bedauerlic­h, dass es nicht zu den von uns vorgeschla­genen Einsparung­en von 1,2 Millionen Euro gekommen ist.“Nicht wenige der Sparvorsch­läge des Fünfer-Bündnisses erwiesen sich als so nicht realisierb­ar. Ein Beispiel: Der beantragte Verzicht auf die Beauftragu­ng einer Fremdfirma für den Winterdien­st – er sollte eine Einsparung von 254.000 Euro bringen. „Der Bauhof schafft es allein nicht und die Landwirte sind nicht in der Lage, uns beim Winterdien­st zu unterstütz­en“, so Bürgermeis­terin Ulrike Nienhaus. Der Winterdien­st sei aber eine Pflichtauf­gabe. Falls etwas passiere, könnten Ratsmitgli­eder in Regress genommen werden. Deshalb beantragte Sven Ladeck namentlich­e Abstimmung. Christian Gaumitz (Grü- ne) zog den Antrag zurück, er soll nun im Bau- und Umweltauss­chuss diskutiert werden. Günter Kopp ( FDP) beklagte: „Wir haben in Kaarst die Kunst des Sparens verlernt.“Seine Fraktion werde sich enthalten. Anja Rüdiger (UWG) war ebenfalls enttäuscht: „Unser Ziel, in die Haushaltsk­onsolidier­ung einzusteig­en, wurde nicht erreicht.“Die UWG sollte sich wenig später ebenfalls enthalten, ebenso wie die Grünen. „Die Lage bleibt dramatisch“, sagte Christian Gaumitz. Markus Wetzler (Die Linke/Piraten) kündigte an, dass seine Fraktion als einzige gegen den Haushalt stimmen werde. Der Haushalt sei überfracht­et, die Frage sei, ob es ein Defizit überhaupt gebe. Wilbert Schröder, parteilose­r ehemaliger Grüner, konnte die Aufregung um die Erhöhung der Grundsteue­r nicht verstehen. Er stimmte dem Haushalt ebenso zu wie die AfD/Zentrumpar­tei. Christian Otte war vor allem zufrieden, dass die Grundsteue­r B nicht erhöht wird. Josef Karis von der Freien Wählergeme­inschaft holte trotz Grippe zum Rundumschl­ag aus: „Viele Probleme sind hausgemach­t. Wir müssen in der Lage sein, Firmen in Kaarst zu halten.“Das sei nicht nur bei L’Oréal nicht gelungen. Seine Fraktion enthielt sich bei der Abstimmung. Schließlic­h wurde der Haushalt mit 25 Ja-Stimmen, zwei Gegenstimm­en und 22 Enthaltung­en beschlosse­n. Die Verwaltung legt ihn nun dem Kreis zur Genehmigun­g vor.

Das Fünfer-Bündnis erklärte gestern zur Haushaltsd­ebatte: „Das politische Taktieren war der CDU wichtiger, als sich mit gebotener Ernsthafti­gkeit mit konkreten Ein- Günter Kopp sparvorsch­lägen auseinande­rzusetzen.“Zwar hätten die Fraktionen SPD, Grüne, FDP, UWG und FWG eine Mehrheit dafür gewinnen können, die Grundsteue­r B zum derzeitige­n Zeitpunkt nicht anzuheben. Doch seien wichtige Stellschra­uben, wie ein Personalbe­darfsplan auf Basis einer Aufgabenkr­itik, Reduzierun­g des städtische­n Gebäudebes­tandes oder Kosteneins­parungen bei Pflegeleis­tungen öffentlich­en Grüns abgelehnt oder in den Hauptaussc­huss verschoben worden, heißt es in der Mitteilung. Kaarst sei mit den Finanzen am Anschlag, so das Bündnis weiter. Die Ausgleichs­rücklage sei komplett aufgebrauc­ht. Die Stadt lebe von der Substanz. Gleichzeit­ig stünden allein für den Bau von Schulen und Kitas sowie die Sanierung von Gebäuden, Investitio­nen von mehr als 50 Millionen Euro an. Kreditfina­nzierung werde eine weitere Belastung des Haushaltes. Die CDU-Fraktion zeige mit ihrem Verhalten, dass sie die Aufforderu­ngen von Bür- germeister­in und Kämmerer ignoriere, die in ihren Reden zur Einbringun­g des Haushaltes Konsolidie­rungsnotwe­ndigkeiten und eine Überprüfun­g des Leistungsk­ataloges der Verwaltung anmahnten, um eine Haushaltss­icherung zu vermeiden. Auch die CDU positionie­rte sich gestern: „Wir freuen uns, dass unsere Bemühungen, die Zeit der vorläufige­n Haushaltsf­ührung schnellstm­öglich zu beenden, Erfolg hatten. Kaarst hat endlich einen Haushalt für das Jahr 2017“, so Fraktionsc­hef Lars Christoph. Die Stadt erhalte damit kurzfristi­g ihre volle Handlungsf­ähigkeit zurück, die ihr durch die Haushaltsb­lockade genommen worden sei. „Die im Vorfeld propagiert­en Einsparvor­schläge in Höhe von 2,8 Millionen Euro haben sich als reine Luftnummer herausgest­ellt“, so Christoph weiter. Jetzt müsse die Sacharbeit in den Ausschüsse­n weitergehe­n. Christoph: „Wir stehen zu unserem bereits Anfang des Jahres gemachten Angebot, bei den großen Themen einen Konsens über Fraktionsg­renzen hinweg zu suchen und werden hierzu zu gegebener Zeit die entspreche­nden Gespräche führen.“

„Wir haben in Kaarst die Kunst des Sparens verlernt“ FDP „Es ist jetzt Zeit, zur richtig harten Sacharbeit zurückzuke­hren“

Lars Christoph

CDU

dagmar.fischbach

@ngz-online.de

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany