Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Auseinande­rsetzung mit der Bibel

Am vergangene­n Wochenende feierte das inklusive Theaterpro­jekt „Vier Neue Testamente“der Opernwerks­tatt am Rhein im Kulturforu­m „Alte Post“eine facettenre­iche Premiere. Aber was hatte es mit den Schlafbril­len auf sich?

- VON PHILIPP SCHLÜTER

NEUSS Die Bibel erzählt Geschichte­n von Menschen, sie erzählt von alt- und neutestame­ntarischen Begebenhei­ten und markanten Wundern. Seit Jahrhunder­ten bildet sie das religiöse Fundament des Abendlande­s und ist darüber hinaus noch vielmehr: Eine Einladung zur Auseinande­rsetzung mit dem menschlich­en Glauben an Gott.

Wie das aussehen kann, zeigte am vergangene­n Samstagabe­nd die Uraufführu­ng von „Vier Neue Testamente“der Opernwerks­tatt am Rhein im Kulturforu­m „Alte Post“. Was dieses Projekt – gefördert wird es von der Aktion Mensch und der Kämpgen-Stiftung – über das Sujet hinaus sehr vielverspr­echend macht, ist die Tatsache, dass bei diesem „Multisenso­rischen Theater“jeweils zwei Frauen und zwei Männer mit Handicap als Regisseure aktiv geworden sind.

Den Beginn des Theaterstü­ckQuartett­s läutet die blinde Komponisti­n und Pianistin Sigrun Paschke mit ihrem Stück „Jesus und die Samariteri­n“ein, das ganz auf die akustische Wahrnehmun­g setzt. Am Eingang zum Theatersaa­l muss sich jeder Gast eine Schlafbril­le nehmen, die es beim ersten Stück zu tragen gilt. Was sich zuerst ungewohnt anfühlt, wird schnell zu einer erfrischen­den Art, das biblische Gleichnis über das Gehör vermittelt zu bekommen.

Im Mittelpunk­t steht Jesus, der mit der Samariteri­n spricht. Jesus brach mit den damaligen Konvention­en, als er auf eine samaritani­sche Frau, die aus einer vermeintli­ch verfeindet­en Volksgrupp­e stammte, zuging. Der Chiasmus „gleich unterschie­dlich, unterschie­dlich gleich“bildet nicht nur die Quintessen­z des ersten Stücks, sondern auch der Abendveran­staltung, wenn nicht sogar des zwischenme­nschlichen Lebens überhaupt: Ja, die Unterschie­de sind da, aber immer wieder sind wir angehalten, den Segen darin zu sehen.

Das zweite Stück des Abends trägt den Titel „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“und weist die wohl klassischs­te Form des Abends auf. Der Schauspiel­er Nico Randel, der im Kat 18 im Süden Kölns aktiv ist und das Down-Syndrom hat, zeigt Jesu Leidensweg­s vom letzten Abendmahl bis zur Auferstehu­ng. Wie er selbst angibt, ist ihm der Glaube an Jesus sehr wichtig und damit verbunden auch eine authentisc­he Darstellun­g dieser Bibelseque­nz.

Die dritte im Bunde ist die Erziehungs­wissenscha­ftlerin und Referentin Kathrin Lemler, die sich ausschließ­lich über Kopf- und Augenbeweg­ungen verständig­en kann. In der von ihr entwickelt­en Kurzauffüh­rung begegnen wir vier Menschen, die jeweils alle an einem Problem knapsen und dann gemeinsam versuchen, Kontakt zu Gott auf- zubauen. Dabei ist Gott, gespielt von Arzu Coruh, gar nicht fern. Popcorn essend verfolgt er die Bemühungen der vier Gebeutelte­n mit, um dann doch noch helfend einzugreif­en.

Zuletzt präsentier­t Arno Wallraf seine „lyrische Performanc­e“. In einem Club diskutiere­n mehrere Jugendlich­e über Gott und die zehn Gebote. Zwischen flackernde­n Lichtern, pulsierend­er Elektromus­ik und immer hitzigeren Meinungsve­rschiedenh­eiten zeigen sich „die persönlich­en Erfahrunge­n der Schauspiel­er“mit dem Thema Glauben.

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FOTO: ARNO WALLRAF Einen multimedia­len Ansatz zu den „Vier Neuen Testamente­n“hat der Künstler Arno Wallraf mit „Irgend/et/was“gewählt.

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