Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Grauer Beton als Mahnung
DORTMUND Fußball in Dortmund war am Samstag wie Braten mit Kloß – aber ohne Soße. Hauptgericht und Beilage wurden gereicht, richtig geschmeckt hat es trotzdem nicht. Es wurde Bundesliga-Fußball gespielt und 56.906 Besucher schauten zu, als die Borussia den VfL Wolfsburg mit 3:0 besiegte. Das würzige Bindeglied hat dabei aber gefehlt. Knapp 25.000 Fans, die normalerweise die Südtribüne füllen, waren vom Deutschen FußballBund (DFB) ausgeschlossen worden. Der graue Beton war eine Mahnung. Gegen Gewalt. Aber auch für die Auseinandersetzung mit deutscher Fankultur.
Die Verantwortlichen von Borussia Dortmund haben die Strafe des DFB akzeptiert, auch weil sie der Überzeugung waren, „dass es in der emotional noch immer aufgeladenen Atmosphäre derzeit weder möglich noch sinnvoll erscheint, eine inhaltliche Debatte über im juristischen Sinne ,angemessenes’, ,erforderliches’ oder ,weitsichtiges’ Strafmaß zu führen“, wie Präsident Reinhard Rauball und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke im Stadionheft verlauten ließen. Und weiter: Wir haben „unserer Meinung deutlich Ausdruck verliehen, dass wir Kollektivstrafen, von denen eine überwältigende Mehrheit friedlicher, unschuldiger Fans betroffen sind, nicht für ein zweckdienliches Mittel halten“.
Borussias Führung verurteilt – wie jeder klar denkende Mensch – die Vorkommnisse gegen Leipzig, als Dortmunder Fans auf der Südtri- büne unter vielen zu tolerierenden kritischen, auch einige geschmacklose Banner präsentierten. Und vor allem, als ein kleiner Teil völlig Fehlgeleiteter außerhalb der Stadionmauern Gästefans mit Wurfgegenständen attackierte.
Fankurven wie die Südtribüne in Dortmund üben eine große Faszination aus. Auch, weil sie trotz homogener Gesangs- und Hüpfeinlagen im Herzen heterogen sind. Würde man eine Befragung der knapp 25.000 Besucher auf der Südtribüne durchführen, wären die Ergebnisse vermutlich nach allen Maßstäben der Sozialforschung repräsentativ. Nirgends findet man alle sozialen Schichten Deutschlands auf einem engeren Raum. Es verwundert daher kaum, dass in diesen Fankurven die gleichen Probleme auftreten wie in der Gesellschaft selbst. Und diese Probleme sind eben genau so wenig mit einfachen Handgriffen zu beseitigen. Dieser Fankurve nun durch eine Kollektivstrafe den Auftrag zu suggerieren, die Probleme selbst lösen zu müssen, ist zu kurz gefasst. Verpflichtende Zivilcourage sollte genauso wenig Grundlage eines Rechtsstaates sein wie Sippenhaft.
Ein gutes Zeichen des DFB war es, die 88 Personen mit Stadionverboten zu belegen, die nur eine Woche nach den Vorfällen gegen Leipzig mit Sturmhauben und Kampfhandschuhen ganz offenkundig nur zum Auswärtsspiel in Darmstadt aufgebrochen waren, um zu randalieren – oder im Wissen, Randalierer zu begleiten. Watzke betonte gestern im ZDF die Abgrenzung des Vereins von diesem Personenkreis, der größtenteils der Gruppe „0231 Riot“ zuzuordnen ist. „Diese Gruppe ist keine BVB-Gruppe, die sind auch nicht in unserer Ultraszene“, sagte Watzke. Die Ultras hatten sich gegen Wolfsburg von der Sperre nicht beeindrucken lassen, präsentierten sich lautstark auf der Nordtribüne. Die BVB-Verantwortlichen legen darauf wert, Gewalttäter nicht mit „den Ultras“gleichzusetzen.
In einer immer mehr in Politikverdrossenheit versunkenen Gesellschaft ist die Ultrakultur eine der wenigen übrig gebliebenen Jugendsubkulturen. Deutschlandweit sammeln Ultras Spenden für soziale Zwecke, setzen sich gegen Diskriminierung und Rassismus ein oder helfen bei der Integration von Flüchtlingen. Sie machen sich das Leben aber auch durch übertriebene Verfehlungen und eine sehr selbstgerechte Außendarstellung schwer. Kritik am eigenen Verhalten muss trotz aller Rebellion gegen den kommerzialisierten Fußball noch gelernt werden. Dennoch wären die Verantwortlichen im Fußball gut beraten, auch die Bedenken der Fanbasis bei allem Gigantismus in der Fußballwelt nicht außer Acht zu lassen.
Der DFB muss zusammen mit den Vereinen weiter daran arbeiten, einzig diejenigen zu bestrafen, die den Fußball missbrauchen, um ihre perfiden Gewaltfantasien auszuleben. In dieser Hinsicht fordert BVBBoss Watzke effektivere juristische Konsequenzen: „Wenn dir um 17 Uhr einer das Nasenbein bricht und der läuft dir um 19.30 Uhr schon wieder in der Stadt über den Weg, obwohl er gefasst wurde. Und der Richter schickt ihn nach Hause. Das funktioniert nicht“, sagte der 57-Jährige. Gewalttäter müssten Strafen härter zu spüren bekommen. „Wir müssen eine soziale Ächtung herbeiführen, die müssen auch mal ein oder zwei Tage eingesperrt werden“, forderte Watzke: „Damit die Familie mal merkt: Was hast du denn da für ein Früchtchen rangezogen? Und der Chef am Montag mal merkt: Okay, wo ist denn der eigentlich? Aha!“
Worauf der DFB aber auch achten muss, ist, dem Hochglanzprodukt Bundesliga nicht ein Theaterpublikum verordnen zu wollen. Der Fußball lebt von Emotionen, auf dem Platz – und auf den Rängen. Mal herzlich, mal rau. Dazu gehört die Anfeuerung ebenso wie die – im Rahmen des zumutbaren – zur Schau gestellte Abneigung der Rivalen.
Dortmunder Fans brachten es mit einem Banner am Samstag auf den Punkt: „Ohne Süd kein wir“.