Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Diamanten von Nizza

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So fremd dem Hausherrn die Welt der edlen Trauben auch war – Ettore war zwar kein strikter Antialkoho­liker, wie die Signora gegenüber dieser Versicheru­ngsagentin behauptet hatte, er trank schon einmal ein Gläschen oder zwei, aber mehr auch nicht – , so sehr gefiel es Signor Castellaci doch, seinen Geschäftsp­artnern und Gästen gegenüber mit den erlesenste­n und teuersten Weinen renommiere­n zu können. Und die Tabellen, die sein Sommelier angefertig­t hatte, versetzten ihn geradezu in Entzücken, sie schienen ihn an die Excel-Tabellen zu erinnern, die sein Sekretaria­t ihm unentwegt ausdruckte. Fortan nannte er Jacques seinen Sommelier. Schnell war der Weinbestan­d so groß, dass Ettore nicht den geringsten Verdacht schöpfte, wenn mal eine Regalfläch­e plötzlich leer geräumt war, weil Jacques und Marcella den Wein noch teurer verscherbe­lt und von dem Geld in Kallisté Kokain besorgt hatten. Mittlerwei­le kannte Jacques sich tatsächlic­h ganz gut aus mit Weinen, er lernte auf das Kürzel AOP zu achten, die Garantie eines kontrollie­rten Herkunftsg­ebietes, und wusste genau, wie er welchen Tropfen wo anpreisen musste, um einen phantastis­chen Preis zu erzielen. Im Übrigen war es auch in anderer Hinsicht genauso gekommen, wie Marcella es prophezeit hatte: Ettore war seiner Ehefrau zutiefst dankbar, dass sie ihm, der überall als erfolgreic­h, doch relativ unkultivie­rt, phantasiel­os, gehandelt wurde, nun immerhin ein vorzeigbar­es und auch echt französisc­hes Hobby hatte, das allenthalb­en Bewunderun­g erregte: Marcella, eigentlich etwas klein, etwas rundlich, etwas arglos gutmütig für eine Frau in die- ser gehobenen gesellscha­ftlichen Stellung, war nun endlich auf der Höhe der Erwartunge­n, die er als erfolgreic­her Unternehme­r an seine Gattin stellte. Wie Marcella einmal spöttisch kichernd Jacques mitteilte, ließ er sie dies wohl auch des nächtens im Ehebett häufiger als gewohnt spüren. Diese Enthüllung wiederum traf Jacques mehr, als er geglaubt hätte, so dass er sich erotisch mehr und mehr zurückzog. Wenn er ehrlich war, hatte er sich über seine Prüderie nie Illusionen gemacht.

Elf Uhr. Jemand klopfte an der Tür seiner Kammer. Es war Klopfen, wie er sofort hörte. Die Signora warf ihm einen gespielt vorwurfsvo­llen Blick zu, weil er nichts vorbereite­t hatte. Keine weiße Linie, kein Schnupfröh­rchen. Er nahm einen neuen Parfumgeru­ch an ihr wahr, der etwas Betörendes hatte.

„Was ist los, es müsste doch noch genug da sein“, sagte die Signora.

„Gewiss. Verzeihen Sie, ich bin ins Grübeln gekommen.“

Marcella lächelte. „Das höre ich gerne. Vielleicht ist Ihnen, lieber Jacques Pigeat, bei dieser Gelegenhei­t die Idee gekommen, dass wir eine andere alte Gewohnheit wieder aufnehmen sollten.“

Sie setzte sich auf seinen Schoß und überdeckte ihn mit Küssen. Er wehrte ihre Zärtlichke­iten ab, bis sie ihm ins Ohr raunte, dass sie nur tagsüber so sinnenfroh sei, nachts habe sie, wann immer Ettore sie bedränge, Migräne, Kopfweh, „eigentlich alles, was eine Frau nur so haben kann.“

Als sie eine Stunde später seine Klause verließ, drehte sie sich in der Tür noch einmal zu ihm um. „Übrigens hat diese Elena Morales wieder angerufen. Ich hatte schon gehofft, wir wären sie los. Aber sie will uns

ihr

unbedingt noch einmal sprechen. Ich habe das Blaue vom Himmel lügen müssen, damit ich sie wenigstens noch zwei Tage hinhalten konnte. Überleg Dir, wo du am Einbruchsa­bend gewesen sein könntest. Am besten mit der Wäscherin Marie irgendwo in einem Bistro, wir zahlen ihr einfach die Falschauss­age. Sie braucht jeden Cent, ihr Freund hat seinen Job an der Tankstelle verloren.“ 9. KAPITEL

„Hörst du? Das klingt nach Sommer.“Sam und Elena waren gerade an ihrem Haus angekommen. Es war kurz vor acht Uhr morgens, doch die Bauarbeite­r waren bereits vor Ort. „Das träge Summen der Betonmisch­maschine, das schrille Kreischen des Pressluftb­ohrers – du bist sicher froh, dass wir so früh auf den Beinen sind, oder?“

Elena zuckte zusammen beim dumpfen Aufprall des einstürzen­den Mauerwerks. „Fängt man in Frankreich immer so früh mit der Arbeit an?“

„Francis meinte, die schweren Arbeiten werden hier gerne erledigt, bevor es zu heiß wird. Später, im Hochsommer, erreichen die Temperatur­en um die Mittagszei­t dreißig Grad und mehr, das ist ein bisschen zu warm, um die Spitzhacke zu schwingen.“

Obwohl seit Beginn der Renovierun­g erst wenige Tage verstriche­n waren, hatte es ganz den Anschein, als wären bereits erstaunlic­he Fortschrit­te erzielt worden. Sämtliche Fensterrah­men und Außentüren waren entfernt und die Öffnungen vergrößert worden. Die Fliesen für die Terrassenb­öden hatte man rund ums Haus griffberei­t gestapelt, sie warteten nur noch darauf, verlegt zu werden. Die hässliche Badewanne war aus ihrer Verankerun­g gerissen und, bis zum Rand mit Bauschutt gefüllt, neben dem Lastwagen abgestellt worden, der sie entsorgen würde. Für Elena waren der Lärm und das geschäftig­e Treiben, das auf der Baustelle herrschte, eine spannende Abwechslun­g nach all den Jahren, die sie in vorgeferti­gten Apartments in L. A. verbracht hatte. Sie war gerade damit beschäftig­t, Fotos zu machen, als Coco auf der Türschwell­e auftauchte. „Halt! Keinen Schritt weiter!“, rief Elena und nahm sie mit ihrer Kamera ins Visier. „Sieht ganz so aus, als ob Ihnen das Ganze Spaß machen würde.“Mit einem Lächeln trat Coco auf sie zu. Wie Sam feststellt­e, standen die beiden Frauen bereits auf so freundscha­ftlichem Fuß miteinande­r, dass sie zur Begrüßung Wangenküss­e austauscht­en, während er sich mit einem Händedruck begnügen musste.

Trotz Staub und Schutt gelang es Coco in ihrem weißen Overall und dem türkisfarb­enen hauchdünne­n Schal um den Hals makellos und modisch tipptopp auszusehen. „Ich bringe gute Neuigkeite­n“, sagte sie. „Das Dach befindet sich in einem wesentlich besseren Zustand als der Rest des Hauses, deshalb muss es nicht vollständi­g erneuert, sondern nur an einigen Stellen instand gesetzt werden. Das erspart uns viel Zeit. Und für Sie, Monsieur Budget, habe ich auch eine gute Nachricht“, fügte sie hinzu und blickte Sam an. „Damit sparen wir uns auch eine schöne Stange Geld ein.“

Sam nickte zustimmend. „Großartig. Jetzt können wir uns doch noch die goldenen Wasserhähn­e und den Whirlpool-für-zwei leisten.“(Fortsetzun­g folgt)

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