Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sie schaffen das nur digital

- VON EVA QUADBECK

NÜRNBERG Im Herbst 2015 musste die deutsche Regierung die Amerikaner um eine Gefälligke­it bitten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) bestellte in den USA Hardware, um angesichts des Zustroms von Flüchtling­en ein Kerndatens­ystem aufzubauen.

Der Druck war auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise enorm. Das Bamf galt als die Behörde mit der Eselsmütze. Die Stimmung gegenüber den Flüchtling­en war im Umschwung von positiv zu negativ. Die Regierung verlor von Woche zu Woche im Organisati­onschaos an Rückhalt. In dieser Situation bestellten die Deutschen bei einem amerikanis­chen Hardware-Entwickler ein wichtiges Bauteil: das Herzstück des heutigen Kerndatens­ystems, über das alle ankommende­n Flüchtling­e registrier­t und mit Fingerabdr­ücken gespeicher­t werden.

Die Firma signalisie­rte, Deutschlan­d sei mit seiner Bestellung auf Platz acht der Warteliste. Auf Platz eins stand die US-Regierung mit einer Bestellung. Die damalige Obama-Administra­tion ließ den Deutschen angesichts der Flüchtling­skrise jenseits des Atlantiks den Vortritt. Ohne diese Großzügigk­eit hätte die Regierung ihre eigene Vorgabe, ein solches Kerndatens­ystem bis Frühling 2016 zu installier­en, nicht erfüllen können.

Seit Mai 2016 arbeitet das Ministeriu­m mit dieser Schnittste­lle. Über Fingerabdr­uckscanner, Kamera und Passprüfge­räte nehmen die Mitarbeite­r in Nürnberg und in den Außenstell­en die Daten der Flüchtling­e auf. Ein Abgleich dieser Daten mit dem Bundeskrim­inalamt läuft mittlerwei­le automatisc­h. Doppeliden­titäten fallen sofort auf.

Das Kerndatens­ystem spielt eine entscheide­nde Rolle im Ringen der Regierung, die Kontrolle über die Flüchtling­skrise zu bekommen. Es stellt auch einen entscheide­nden Schritt für den Imagewechs­el des Bamf da. Eingeleite­t hatte ihn der vorübergeh­ende Chef Frank-Jürgen Weise, der auf dem Höhepunkt der Krise im Herbst 2015 die Führung des Amtes übernahm. Das war das Jahr, in dem fast eine Million Flüchtling­e nach Deutschlan­d kamen.

Heute gilt die vor anderthalb Jahren noch so viel gescholten­e Behörde als Vorreiter der Digitalisi­erung. Mittlerwei­le tritt das Bundesamt selbst als treibende Kraft auf und mahnt andere Ämter, sich dem Kerndatens­ystem anzuschlie­ßen. Sicherheit­s- und Sozialbehö­rden dürfen auf die Daten zurückgrei­fen. „Unsere Botschaft an die Behörden, die im Flüchtling­smanagemen­t arbeiten, lautet: Wir stellen die Steckdose für das Kerndatens­ystem, ihr müsst den Stecker einstecken“, sagt Markus Richter, Leiter Digitales und Infrastruk­tur im Bamf. Mit dieser Schnittste­lle können Behörden jenen Flüchtling­en auf die Schliche kommen, die sich Mehrfach-Identitäte­n zulegen und damit Leistungsm­issbrauch betreiben. „Der Datenabgle­ich in der Einzelvorg­angsbearbe­itung wird noch nicht flächendec­kend von Ausländer- und Sozialbehö­rden angewandt“, kritisiert Richter.

Die Vernetzung der Sozialbehö­rden mit dem Bamf ist ein sensibles Thema. Zahlreiche Fälle, in denen Flüchtling­e mit mehreren Identitäte­n mehrfach bei den Sozialbehö­rden abkassiert­en, empörten die Öffentlich­keit. Dabei wurde klar, dass viele Behörden vor Ort Fingerabdr­ücke von Flüchtling­en nicht mit den im Kerndatens­ystem gespeicher­ten Fingerabdr­ücken vergleiche­n können. Die neue Bamf-Chefin Jutta Cordt hatte die lokalen Behörden dafür kritisiert und so auch darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht am Bundesamt liegt, wenn die Kontrollen der Asylbewerb­er lückenhaft ausfallen.

Die Mitarbeite­r im Bamf haben es satt, immer als Prügelknab­e herzuhalte­n, wenn es organisato­risch bei der Versorgung und Integratio­n der Flüchtling­e nicht rund läuft. Gegen das Image

„Unsere Botschaft lautet: Wir stellen die Steckdose, ihr müsst den Stecker einstecken“

Markus Richter

Leiter Digitales und Infrastukt­ur, Bamf

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