Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Aus der Traum

In den USA protestier­en nun Schriftste­ller gegen Donald Trump, und die New Yorker Autorin Imbolo Mbue erzählt in ihrem Debütroman von einer kamerunisc­hen Einwandere­rfamilie und dem „American Dream“.

- VON KLAS LIBUDA

DÜSSELDORF Wenn Deine Träume platzen und niemand dabei ist, machen sie dann ein Geräusch? Nachdem Jende Jonga erfahren hat, dass sein Asylantrag abgelehnt wurde, ist er jedenfalls ganz allein. „Auch in seinem Kopf war nichts, nicht die leiseste Rührung; er war unfähig, nur einen einzigen Gedanken zu formen.“Jende Jonga hört nichts.

Jonga ist der Held in Imbolo Mbues Roman „Das geträumte Land“, der soeben auf Deutsch erschienen ist. Mbue erzählt darin von einer kamerunisc­hen Einwandere­rfamilie in New York und ihrem Streben nach etwas Wohlstand und Glück, und darum ist es der Roman der Stunde. Denn seit Donald Trump Präsident ist, versucht er ja, die USA abzuschott­en. Jüngst kündigte die US-Administra­tion an, die Ausweisung­sverfahren künftig entschiede­ner angehen zu wollen, was elf Millionen Menschen betreffen könnte. Zwar regt sich Widerstand: Erst vorgestern hat der Schriftste­llerverban­d PEN in einem offenen Brief Trumps Pläne für Einreiseve­rbote scharf kritisiert. Unterschri­eben haben so ziemlich alle: Philip Roth, Jonathan Franzen und Zadie Smith. Dennoch: Für die Jongas im Land und die, die rein wollen. wird es brenzlig.

Nun ist Imbolo Mbues Buch in den USA bereits im vergangene­n Sommer erschienen, also vor den Wahlen, und war dort wohl auch ein so großer Erfolg, weil die Autorin für ihren Debütroman eine Million Dollar Vorschuss bekommen haben soll. So etwas erzeugt reichlich Wirbel. Weil „Das geträumte Land“aber mit größter Empathie von den Erwartunge­n und Ungewisshe­iten der Einwandere­r erzählt, wünscht man sich nun mehr denn je, dass es mal in die richtigen Hände gelangt. „The one novel Donald Trump should read now“, titelte die „Washington Post“. Gelesen hat es der US-Präsident bislang wohl nicht.

Zumal Trump im Roman noch keine Rolle spielt, die Geschichte setzt im Jahr 2007 ein: Barack Obama ist Senator von Illinois und Jende Jonga wie beseelt vom neuen amerikanis­chen Traum-Vokabular, von „Change“und „Yes we can“und vor allem von „Hope“. Mit größten Hoffnungen sitzt er darum im Büro des Lehman-Brothers-Managers Clark Edwards. Jonga ist bislang in New York Taxi gefahren, und er möchte nun bei Edwards als Chauffeur anheuern. Er trägt einen grünen Nadelstrei­fenzweirei­her, den er schon bei der Einreise mit seinem nur wenige Monate gültigen Touristenv­isum getragen hat. Das ist drei Jahre her. Edwards rät ihm, sich besser einen dunkelblau­en oder grauen Anzug zuzulegen, wenn er in den USA etwas werden möchte, aber er gibt ihm den Job, und Jonga beschließt, der beste Chauffeur der Stadt zu werden. So fahren sie nun also durch New York. Während der eine versucht, die Pleite von Lehman Brothers abzuwenden – die 2008 dann tatsächlic­h die Bankenkris­e auslöst –, glaubt der andere fest daran, sein Glück zu machen. „Amerika ist Amerika“, sagt Jonga. Gemeinsam steuern sie dann auf den großen Crash zu.

Natürlich kann dieser Roman nur in New York spielen, denn das lernt jedes Kind schon im Englischun­ter- richt: New York ist der Schmelztie­gel. Es ist die Stadt der Träume und Träumer. Nirgendwo sonst ist das Glück immer sehr nah, denn Manhattan liegt ja recht zentral. Aber auch nirgendwo sonst ist die Ungleichhe­it so groß zwischen den Topverdien­ern und den Jongas in Harlem. Dorthin zieht Jende mit seiner Frau Neni und dem gemeinsame­n Sohn, nachdem er sie vom ersten Ersparten rübergehol­t hat. Neni arbeitet als Pflegerin und kurz darauf auch für die Edwards.

„New York ist nicht die Härte, durch die man hindurchmu­ss, wenn man zu den Sternen will. New York, das sind von anderswohe­r gesehen schon die Sterne, nur von sehr weit unten betrachtet“, schreibt Christoph Bartmann in seinem Buch „Die Rückkehr der Diener“. Bartmann war mal Chef des Goethe-Instituts in New York, und er hat dort beobachtet, wie eine neue Klasse von Billigarbe­itskräften heranwuchs. Pizzaboten, Putz- und Pflegekräf­te, mal mit und oft ohne Aufenthalt­sgenehmigu­ng. Menschen, die sich darum recken und strecken können, aber nur in den wenigsten Fällen nach den Sternen greifen werden. Bei den Jongas hängt alles am Asylverfah­ren: die Arbeitserl­aubnis, die Chance auf die Greencard, der Führersche­in. Der Anwalt rät, die Stadt bis zum Berufungsv­erfahren nicht zu verlassen. Die Jongas kommen nicht an und nicht mehr weg. Nicht mal nach Westen können sie ziehen, wie es der Amerikanis­che Traum vorsieht. Ihr Traum: bleiben zu dürfen und eine Dreizimmer-Wohnung.

Imbolo Mbues Verdienst ist es nun, dass sie die Mehrheitsg­esellschaf­t nicht gegen die Jongas ausspielt, für die ihr Herz schlägt. Wie ihre Helden ist die Autorin in Kamerun aufgewachs­en, zum Studium kam sie in die USA. Kurz vor der Wahl wurde sie Staatsbürg­erin.

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FOTO: GETTY Der Times Square in New York preist die Verheißung­en der USA auf Werbeplaka­ten – zum Beispiel mit Reklame für die Castingsho­w „American Idol“(r.).

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