Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die Diamanten von Nizza
Als er Cocos gerunzelte Stirn sah, beeilte er sich hinzuzufügen: „Das war nur ein Scherz.“Und das waren noch nicht alle erfreulichen Neuigkeiten. Sämtliche Trennwände sollten bis zum Ende der Woche herausgerissen und die vorsintflutlichen Bodenfliesen entfernt werden. Innerhalb von zwei Wochen, versprach Coco, konnte der Wiederaufbau beginnen. Als Elena und Sam die Baustelle am Ende des Vormittags verließen, befanden sie sich in Hochstimmung.
Und als Tüpfelchen auf dem i waren sie auch noch mit ihrem Freund, dem Journalisten Philippe, zum Mittagessen verabredet. Er hatte angerufen, um ihnen zu sagen, dass es etwas zu feiern gebe, und sie gebeten, sich mit ihm im
zu treffen, seinem Lieblingsrestaurant. Es war auf in den verschiedensten Varianten spezialisiert.
Auf dem Weg nach Marseille versuchte Elena, den Grund für die Feier zu erraten. „Er heiratet endlich seine Mimi“, spekulierte sie. „Oder er wurde zum Chefredakteur der Zeitung befördert. Oder er hat einen Vertrag für ein Buch in der Tasche.“
„Wie kommst du denn auf die Idee?“
„Das ist gang und gäbe bei Journalisten. Man denke nur an die zahllosen Geschichten, die bei ihnen in der Redaktion landen. Viele, vor allem die pikanten, dürfen sie aus rechtlichen Gründen nicht in der Zeitung veröffentlichen, doch sie erkennen auf Anhieb, wenn sie das Zeug zum Bestseller haben. Also verwerten sie den Inhalt anderweitig, ändern die Namen und bezeichnen das Ganze als reine Erfindung. So einfach ist das.“
d’Edouard Le Bistrot tapas
Sam schwieg, er musste diese Enthüllung über die entromantisierte literarische Produktion moderner Tage erst einmal verdauen und sich gleichzeitig auf die Ausweichmanöver konzentrieren, die das Verkehrsgewühl erforderte. Als es ihm endlich gelang, einen Parkplatz zu sichten und einem Renault zuvorzukommen, dessen Fahrer seiner Entrüstung mit einem schrillen Hupkonzert Ausdruck verlieh, war er reif für einen Drink.
Sie fanden Philippe an einem Tisch auf der Terrasse des Restaurants; der Eiskübel war bereits beladen. Der Journalist erhob sich und breitete zur Begrüßung die Arme aus, mit denen er sie beide umschloss. In seiner modischen Jeans, dem schwarzen Shirt, mit Sonnenbrille, stoppeligem Dreitagebart und weißem Jackett hätte man ihn für einen hippen Besucher der Filmfestspiele in Cannes halten können, der für ein paar Augenblicke dem Trubel entfliehen wollte.
Sam befühlte das Revers des weißen Jacketts. „Schmucker Aufzug, Philippe. Was ist aus deinem alten Anzug geworden?“
„Ich habe meinen Look geändert“, erwiderte Philippe. „Ein erster Schritt, um Karriere zu machen.“Er füllte die Gläser und hob sein Glas. „Ich möchte mit euch anstoßen, auf meinen neuen Job.“Zwischen Schinken, blassvioletten Artischocken mit Parmesan und einer langen Prozession brachte Philippe sie auf den neuesten Stand.
Er hatte das Lokalblatt verlassen, um für zu arbeiten, ein Trendmagazin, das sich auf die Kapriolen und das gesellschaftliche Leben der Prominenten in Frankreich spezialisiert hatte. Das ihm zugewiesene Revier umfasste die Provence und
pata negra- Salut! tapas-
die Côte d’Azur. „Von Marseille bis Monaco“, sagte Philippe. „Dort werde ich mich auf die Jagd nach Neuigkeiten über die Reichen und Berühmten begeben, und die Leser über alles auf dem Laufenden halten, was sie tun und lassen. Die Zeitschrift hat mir einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt, so dass ich mich von dem Motorroller trennen kann, und die Spesen, die sie mir zahlen“– er hielt inne, um seine Fingerspitzen zu küssen –, „sind phänomenal. Und ich komme ganz schön rum: Letzte Woche war ich in der Frühjahrsausstellung der Fondation Maeght in Saint-Paul-deVence, ihr wisst schon, in diesem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, morgen bin ich hier in Marseille, als Berichterstatter bei der Geburtstagsfeier einer der Cartier-Töchter, die 21 wird, und nächste Woche geht’s ab nach Menton, zu einer Promi-Hochzeit. Oh, fast hätte ich es vergessen – falls ich selber eine Idee habe, welche besonderen Ereignisse für unsere Leser interessant sein könnten, steht mir auch dafür ein Budget zur Verfügung. Na, wie findet ihr das?“Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, der Inbegriff eines Mannes, der gerade einen Traum verwirklicht hat.
Elena lächelte angesichts seiner Begeisterung und gratulierte ihm. „Nur eine Frage. Was hält Mimi von diesem ganzen Hin und Her?“
Philippe beugte sich vor und tippte mit dem Zeigefinger an seine Nase. „Sie begleitet mich, als meine Fotografin. Nicht schlecht, oder?“
Das Mittagessen zog sich hin, ging beinahe ins Abendessen über, als die drei über mögliche Projekte für Philippe sprachen: Ein Besuch beim Tourismusminister im Fort de Brégançon, der alten Sommerresidenz des französischen Präsidenten; eine Reportage über die Sommergäste, die sich auf ihren Neunzig-MeterJachten auf dem Mittelmeer treiben ließen; Oben-Ohne-Wasserskifahren in Saint-Tropez; ein Abend im Spielkasino von Monte Carlo; eine
Modenschau im Palais des Festivals in Cannes; Philippe machte sich dabei die ganze Zeit fieberhaft Notizen.
„Zwei Dinge gilt es zu bedenken“, warf er ein. „Erstens, die Leute finden es langweilig, den ganzen Tag am Strand zu liegen, und deshalb sind sie abends zu allem bereit, was ihnen Bewegung verschafft. Und zweitens, sie genießen es ausnahmslos, ihr Foto in einem Hochglanzmagazin zu betrachten. Das verleiht ihnen das Gefühl, ein Star zu sein.“Er zuckte die Achseln. „Wie ihr seht, arbeitet die menschliche Natur für mich.“
„Philippe hat recht“, sagte Sam, als sie ins Le Pharo zurückfuhren. „Die Obsession der Leute mit allem, was Rang und Namen hat, ist verblüffend. Sie wollen darüber lesen und hautnah mit den Promis in Berührung kommen, damit sie das Gefühl haben, Teil ihrer Welt zu sein. Seltsam!“
„Danke, Professor. Prominent zu sein war für dich also nie reizvoll?“
„Ich kenne nicht viele Prominente, aber diejenigen, denen ich begegnet bin, waren so selbstzufrieden, dass ich den Gedanken dazuzugehören abstoßend fand. Ich bin froh, meine Anonymität wahren zu können und die Liebe einer anbetungswürdigen Frau zu besitzen.“
„Sam, soll das deine Antrittsrede als Staatspräsident sein? So ein Stuss.“Er konnte beinahe hören, wie sie die Augen verdrehte.
Salut!-
(Fortsetzung folgt)