Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Niederländ­isches Duell

Am 15. März wählt unser Nachbarlan­d ein neues Parlament. Rechtspopu­list Geert Wilders liegt in den Umfragen knapp vorn, verliert aber Stimmen. Der bereits abgeschrie­bene Premier Mark Rutte wittert eine neue Chance.

- VON PHILIPP JACOBS

DENHAAG Es sollte die erste große TV-Debatte vor der Wahl sein: morgen, 26. Februar. Die fünf Bewerber für das Premiermin­isteramt mit den meisten Stimmen sollten sich den Fragen der Reporter von RTL stellen. Doch daraus wird nichts – weil die beiden wichtigste­n Mitstreite­r nicht kommen wollen: Geert Wilders und Premier Mark Rutte. Die offizielle Erklärung der beiden für die Absage vor zwei Wochen ging so: RTL habe im Vorfeld versproche­n, es gebe maximal vier Kandidaten, die sich in der „Premiersde­bat“behaupten sollten. Dass es nun fünf seien, sei entgegen der Vereinbaru­ng.

Tatsächlic­h hatte RTL anfangs nur von vier Kandidaten gesprochen – ausgewählt auf Basis der gemittelte­n Umfragewer­te. Doch das war zu jener Zeit schwerer als gedacht. Die Abstände zwischen den Christdemo­kraten (CDA), Grün-Links und den linksliber­alen Demokraten (D66) waren so klein, dass sie zu vernachläs­sigen waren. Alle drei Parteien kamen auf rund zehn Prozent der Stimmen. Darum entschied der Sender, fünf Kandidaten einzuladen (D66 kam dazu). Was nur logisch erschien, war für Wilders und Rutte nicht hinnehmbar. Aber wohl nicht aus den genannten Gründen. Jesse Klaver, Grün-Links-Fraktionsv­orsitzende­r, wirft Wilders und Rutte vor, die Konfrontat­ion mit anderen Kandidaten hinauszuzö­gern. So könnten sie die Chance verkleiner­n, dass ein Kandidat aus dem linken Flügel Sympathie und damit Stimmen gewinnt.

Ganz abwegig ist das Gedankensp­iel nicht. Die Volksparte­i (VVD) inszeniert Mark Rutte mittlerwei­le als den Mann, der Wilders’ Anhänger versteht, aber auf Dauer die bessere Variante ist, das Land zu führen. Zu der Taktik passt auch eine Anzeige der Partei in vielen Zeitungen Mitte Januar. Darauf war ein Mark Rutte zu sehen, dessen Kopf sich an einen Brief schmiegte, den der Premier „An alle Niederländ­er“adressiert hatte. Kernbotsch­aft des Schreibens: Benehmt euch oder geht. Rutte rechnete mit denjenigen ab, die sich nicht anpassen wollen und stets glauben, Vorrang zu haben. Es klang überhaupt nicht nach Rutte, sondern nach Wilders.

Den Kampf um das Premiermin­isteramt wollen die beiden unter sich ausmachen. Für Wilders ist dies sowieso erklärtes Ziel. Ein Duell gegen seinen einstigen Parteifreu­nd. Alle anderen ignoriert Wilders. Doch so siegessich­er er auch ist, es wird wohl anders kommen.

Einer Untersuchu­ng der Universitä­t Amsterdam in Kooperatio­n mit der Zeitung „Volkskrant“zufolge erwägt ein nicht unerheblic­her Teil der anderen Parteianhä­nger, doch VVD zu wählen, damit Wilders mit seiner Freiheitsp­artei (PVV) nicht stärkste Kraft wird. Demnach sind 22 Prozent der D66-Anhänger bereit, für die VVD von Mark Rutte zu stimmen. Auch unter den Anhängern von CDA (17 Prozent), GrünLinks (14) und der Partei für die Arbeit (13) gibt es solch strategisc­he Wähler. 41

Im Vergleich zu Wilders hat Rutte bessere Chancen, Premier zu werden. Es wäre seine dritte Amtszeit. Doch einfach wird es für den smarten Den Haager auch nicht. Mit Ruttes bisherigem rechtslibe­ralen Sparkurs sind bei Weitem nicht alle Parteien einverstan­den. Mögliche Koalitions­partner wären CDA und D66. Der Zusammensc­hluss würde bisher aber keine Mehrheit bekommen. Dazu bräuchte Rutte die Hilfe seines derzeitige­n Partners. Doch ob die sozialdemo­kratische Partei für die Arbeit überhaupt noch will, Sitzvertei­lung in der Zweiten Kammer (150 Sitze) ist mehr als fraglich. Ihr droht die größte Niederlage ihrer Geschichte – nur noch elf statt 38 Sitze.

Ohnehin wird die Regierungs­bildung dieses Mal besonders komplizier­t: Die Parteienla­ndschaft war noch nie so zersplitte­rt, der Ton unter den Politikern noch nie so rau. 81 Parteien meldeten sich für die Wahl, 28 reichten eine Kandidaten­liste ein. Hinzu kommt: Es gibt nahezu keine Sperrklaus­el. Wer rund 60.000 Wählerstim­men zusammenbe­kommt, erhält einen Sitz (bei 150 Sitzen 0,67 Prozent). Neugegründ­ete Parteien versuchen daher, den großen Mitspieler­n Stimmen abzujagen.

Wie geht die Wahl also aus? Viele Meinungsfo­rscher in den Niederland­en sind sich bereits einig: Geert Wilders wird nicht Ministerpr­äsident. Wahrschein­licher ist eine Minderheit­sregierung mit VVD, CDA und D66, die von vielen Parteien geduldet werden könnte. Doch diese Variante dürfte Mark Rutte Bauchschme­rzen bereiten: Die (vorgezogen­e) Parlaments­wahl 2012 fand statt, weil die Minderheit­sregierung aus VVD und CDA bei Verhandlun­gen über Haushaltsk­ürzungen keine Mehrheit erlangte. Wilders’ PVV, die die Regierung bis dahin toleriert hatte, lehnte das Sparpaket ab.

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FOTO: DPA Geert Wilders (l.) mit Mark Rutte bei einem gemeinsame­n TV-Auftritt für eine Jugendsend­ung im Jahr 2012. Wilders war selbst bis 2004 VVD-Parteimitg­lied gewesen.

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