Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Streit um mehr Geld für Ausschuss-Vorsitzende
Mit höheren Aufwandsentschädigungen will das Land das Ehrenamt in der Politik attraktiver machen. Zahlen müssen die Kommunen.
RHEIN-KREIS Ehrenamtliche Arbeit in der Politik ist wertvoll, das wird nicht bestritten. Ganz anders sieht’s aus, wenn ehrenamtliche Arbeit in der Politik für die Kommunen zum Kostenfaktor wird. Und das wird sie. Mit dem Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung änderten sich in NRW Mitte November vergangenen Jahres auch die Regelungen für die Aufwandsentschädigungen der Lokalpolitiker in Räten und Kreistagen. Was die Landespolitik in der guten Absicht, mehr Menschen für politisches Engagement zu begeistern, beschlossen hat, sorgt jetzt für Streit.
Beispiel Kreisausschuss: Auf rund 500.000 Euro kreisweit in allen betroffen Kommunen schätzt Landrat HansJürgen Petrauschke die Mehrbelastung für die öffentlichen Kassen. Mit Blick auf den Kreistag und seine Ausschüsse will der Landrat die Kostensteigerung begrenzen.
Dafür legte Petrauschke dem Kreisausschuss jetzt einen Entwurf für eine Änderung der Hauptsatzung des Kreises vor. Danach sollen, bis auf den Kreisausschuss, alle Ausschüsse des Kreistags, insgesamt 15, von der Neuregelung der Aufwandsentschädigung ausgenommen werden. Der Kreisausschuss steht als einziger nicht auf der Ausnahmeliste. Er wird vom hauptamtlichen Landrat geleitet – womit eine zusätzliche Vergütung entfällt. Der angestrebte Effekt: Die Ausschussvorsitzenden bekämen weiter nur die normale Aufwandsentschädigung (382,30 Euro pro Monat plus 19,60 Euro pro Sitzung) für ihr Mandat und nicht zusätzlich weitere 442,10 Euro pro Person und Monat, wie es das neue Gesetz vorschreibt. Ersatzweise soll es für die Vorsitzenden im RheinKreis 97,90 Euro pro Sitzung zusätzlich geben. Die Summe entspricht nach der Entschädigungsverordnung NRW dem höchstmöglichen Einzelsatz für ein Sit- Erhard Demmer zungsgeld.
Im Kreisausschuss votierten CDU, FDP, UWG/Die Aktive und auch die Linke für den Vorschlag des Landrates. Grüne und SPD hingegen liefen dagegen Sturm: „Das ist Anarchie“, Erhard Demmer, Fraktionschef der Grünen, pochte darauf, die Landes- regelung umzusetzen. Gesetz sei Gesetz. Der Landrat verdrehe Regelfall und Ausnahme. Zwar lasse das Gesetz Ausnahmen für einzelne, weniger bedeutende oder selten tagende Ausschüsse zu. Einfach alle Ausschüsse als Ausnahmefall zu deklarieren, sei jedoch unzulässig. „Das verstößt gegen jedes Verständnis von Demokratie“, so Demmer. Der Kreis als „untere Ebene“versuche, ein Landesgesetz einfach auszuhebeln.
Anarchie im Rhein-Kreis? Landrat Petrauschke verwahrte sich dagegen: „Wenn das so wäre, wären sechs Kommunen im Kreis anarchistisch und Dormagen zumindest zum Teil anarchistisch.“Diese Städte und Gemeinden handelten ähnlich wie jetzt im Kreisausschuss vorgeschlagen. Nur die Stadt Neuss plane offenbar, so Petrauschke, die Landesregelung grundsätzlich umzusetzen. Gert Ammermann (CDU) unterstützte den Landrat: Das Anliegen des Landesgesetzgebers sei zwar ehrenwert, in der Umsetzung aber „verunglückt“. Der Vorschlag des Landrates sei „sachgerecht“. Das zusätzliche Sitzungsgeld von 97,90 Euro für die Ausschussvorsitzenden sei angemessen und passe in die Zeit, in der die Kommune sparen müssten. Gerade mit Rücksicht auf die Städte und Gemeinden im Rhein-Kreis müsse der Kreistag dem Vorschlag Petrauschkes zustimmen, forderte auch Carsten Thiel (UWG/ Die Aktive). „Die Regierungspräsidentin wird diesen Punkt nicht beanstanden“, meinte Ammermann.
Rainer Thiel (SPD) hingegen mahnte, den Sinn und Zweck der Neuregelung nicht aus den Augen zu verlieren: „Im Kern ist die Absicht, das politische Ehrenamt zu stärken, gut.“Sein Vorschlag: Der Kreisausschuss sollte die Entscheidung vertagen und zunächst eine Rechtsauskunft aus dem Innenministerium einholen und prüfen lassen, ob die geplanten Ausnahmeregelungen zulässig sind. Die Mehrheit im Ausschuss jedoch lehnte das gegen die Stimmen von SPD und Grünen ab.
Petrauschke deutete an, dass er im Laufe des Jahres ohnehin mit einer Überprüfung der „Rechtsanwendung“, die so ja nicht nur vom Kreis, sondern von vielen Kommunen in NRW, vorgenommen werde, rechne: „Da wurde uns etwas Unfertiges auf den Tisch gelegt.“Er selbst, so stellte Petrauschke auf Nachfrage von Susanne Stephan-Gellrich (Grüne) klar, werde als Kommunalaufsicht die Beschlüsse von Kommunen im Rhein-Kreis, die die Zusatzvergütung für Ausschussvorsitzende mit ähnlichen Ausnahmeregelungen verhindern, nicht beanstanden.
Kirsten Eickler, Linke, regte an, bei der Honorierung stärker nach dem tatsächlichen Aufwand für die Ausschussvorsitzenden zu unterschei- den. Demmer und Thiel verwiesen – letztlich erfolglos – auch auf eine Expertise des Juristen Frank Bätge, Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Köln. Er kommt zu dem Schluss, dass es Ausnahmeregelungen nur für Ausschüsse geben darf, in denen der Vorsitzende ähnlich gering belastet ist wie in einem – gesetzlich bereits ausgeschlossenen – Wahlausschuss oder aber für Gremien, die zumindest deutlich seltener tagen als die übrigen Ausschüsse. Pauschal alle Ausschüsse von der zusätzlichen Entschädigung auszunehmen oder den Ausschluss zur Regel zu machen, sei „ermessensfehlerhaft“und damit unzulässig.
Der Kreis hingegen argumentiert, dass es neben der Zahl der Sitzungen auch auf die Bedeutung der Ausschüsse ankomme. Die Ausschüsse des Kreistages hätten, anders als Ratsausschüsse, weitestgehend keine Kompetenz, sondern dienten nur der Vorberatung. Entschieden werde im Kreisausschuss oder Kreistag. Dies rechtfertige die Ausnahmeregelung. Die Entscheidung fällt im Kreistag am 28. März.
„Das ist Anarchie. Der Kreis versucht, Landesrecht auszuhebeln“ Fraktionschef Grüne „Die Regierungspräsidentin wird diesen Punkt nicht beanstanden“
Gert Ammermann
CDU-Finanzexperte