Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Lieber Schäfer als Politiker
Was Jugendliche von Politikern erwarten, offenbart das RP-Projekt „Deine Stimme zählt“. Bei RP Online ist es in 40 Videos zu sehen.
DÜSSELDORF Berufspolitiker werden, das „muss nicht unbedingt sein“, findet Leon Lorenz. Als Schäfer in der freien Natur arbeiten oder Archäologie studieren, das kann sich der 16-Jährige eher vorstellen. Zumindest vorübergehend will er aber doch Politik machen. Schulen sanieren, ein angenehmeres Lernklima schaffen und Schüler mit Tablet-PCs versorgen – diese Forderungen würde der Schüler des Gymnasiums Voerde am 30. März bei einer abrufbar. Dort begutachten auch die Schüler-Abgeordneten, was die Mitbewerber fordern. Nächste Woche wählen sie aus ihrer Mitte zwei „Minister“. Diese treffen bei der Diskussion im Apollo-Theater auf eine hochkarätige Runde: Landesschulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne), Landesjugendministerin Christina Kampmann (SPD), CDULandesvorsitzender Armin Laschet, FDP-Chef Christian Lindner, Özlem Demirel, Landessprecherin der Linken, und Patrick Schiffer, Vorsitzender der Piratenpartei.
Abitur in acht oder neun Jahren, die Ausstattung von Schulen – solche Fragen stehen bei vielen Schülern oben auf der Agenda. In ihren Videos geht es aber um mehr. Bessere Angebote von Bus und Bahn, zum Beispiel. „Ich wohne fünf Kilometer von Hünxe entfernt, quasi abseits jeglicher Zivilisation“, sagt Laura Marie Steffen, „wenn ich irgendwo hinwill, muss ich meine Eltern oder Großeltern anstacheln, dass sie mich fahren.“Darum fordert die 17Jährige gemeinsam mit Leon Lorenz den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs zu „schülerfreundlichen Preisen“.
Daniel Köllmann (17) und EvaMaria Merten (17), das Abgeordneten-Duo des Rheinberger Amplonius Gymnasiums, sorgen sich um die Polizei. Überlastet und viel zu häufig Opfer von Attacken im Dienst, lautet die Diagnose der Schüler. Und ihre Forderung: Polizisten mit Kameras und Elektroschockern ausstatten und mehr Beamte einstellen. Welche Folgen die Überlastung der Polizei hat, war nach Ansicht von Köllmann während der Silvesternacht 2015 in Köln zu erleben: „Da hat der Rechtsstaat versagt.“Defizite bei der inneren Sicherheit nimmt er aber auch im eigenen Alltag wahr: „Man muss sich zweimal überlegen, ob man nach 22 Uhr am Bahnhof in Oberhausen oder Duisburg unterwegs ist.“
Während Daniel Köllmann Mitglied der Jungen Liberalen ist und die Social-Media-Kanäle der örtlichen FDP betreut, hält Nele Stegemerten noch Distanz zu Parteien. „Ich bin nicht grundsätzlich abgeneigt, einer Partei beizutreten. Aber ich fühle mich von keiner so vertreten, dass ich mich an sie binden würde.“Die 16-Jährige geht mit Marcel Kolb (16) für das Gymnasium Korschenbroich als „Minister“Kandidatin ins Rennen. Die beiden sind an ihrem Gymnasium auch Schülersprecher. Ein Engagement im unmittelbaren Umfeld; die „große“Politik beschäftigt Kolb aber ebenso: „Mir macht zum Beispiel Sorgen, wie viel vielleicht von dem verloren geht, was in der Einigung Europas schon erreicht wurde – Reisen ohne Grenzkontrollen, Währungsunion .. .“
Auch wenn die Videos allerlei Kritik liefern, nach Revolution klingt’s nicht. Leon Lorenz jedenfalls sieht es mit staatsmännischer Gelassenheit: „Alles in allem bin ich mit Deutschland sehr zufrieden. Wenn wir Tablets für Schüler fordern, ist das Meckern auf hohem Niveau.“