Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Basis-Wahlkampf in Bottrop
Ausgerechnet in der traditionellen SPD-Hochburg im Ruhrgebiet will CDUSpitzenkandidat Armin Laschet der Basis sein Wahlprogramm verkaufen.
BOTTROP In den letzten Minuten wäre die Stimmung beinahe gekippt. „Sagen Sie mal, hören Sie mir überhaupt zu?“, ranzt ein Fragesteller aus dem Publikum Armin Laschet an. Der CDU-Spitzenkandidat im Landtagswahlkampf hat sich auf dem Podium in ein Gespräch mit Oliver Wittke vertieft: Offensichtlich suchen er und der Chef der Ruhr-CDU gerade nach einem Weg, die Regionalkonferenz ausklingen zu lassen. Hinter ihren Köpfen prangt in riesigen Lettern der Slogan des CDU-Wahlprogramms: „Zuhören. Entscheiden. Handeln.“
Knapp 100 CDU-Mitglieder sind an diesem Donnerstagabend nach Bottrop gekommen, um mit Laschet über genau dieses Wahlprogramm zu diskutieren. Ausgerechnet in der traditionellen SPD-Hochburg will der Spitzenkandidat seinen Getreuen das Gefühl geben, mitreden zu dürfen. „Damit es unser gemeinsames Wahlprogramm wird“, wie Laschet immer wieder betont. Und dann dieser Fauxpas.
Laschet unterbricht das Gespräch mit Wittke und wendet sich der verärgerten Dame in der ersten Reihe zu. Wie ein guter Therapeut strahlt er sie gedehnt nickend an: „Natürlich höre ich Ihnen zu.“Was gar nicht so einfach ist: Die ersten Gäste schleichen sich nach zwei Stunden Diskussion schon Richtung Ausgang, während die wasserstoffblonde Frau die Begriffe „Weltgesundheitskonferenz“, „östliche Bundesländer“, „Ärztemangel“, „Schwestern“und „Abgasfilter“irgendwie zu einem langen Bogen verbindet.
Gut möglich, dass Laschet sogar der Einzige im Saal ist, der ihr tatsächlich zugehört hat. Ohne die Augen von ihr zu lassen, greift er jedes Stichwort auf und drapiert darum Passagen aus dem Wahlprogramm. „Und zum Ärztemangel müssen wir mal eine Extra-Veranstaltung machen“, so der Spitzenkandidat unter erneutem Zuwendungs-Nicken in Richtung der Blonden. Die strahlt zufrieden zum Podium hinauf.
„Donnerwetter. Der ist auf Zack“, kommentiert die Szene ein Senior aus der hinteren Reihe ins Ohr seiner Frau. Die allerdings nicht mehr so gut hören kann, weshalb der Senior seine Botschaft mehrfach wiederholt. „Zack.“Fragender Blick. „Der ist auf Zack.“Wer? „Der Laschet ist auf Za-haak.“
Auf vier Regionalkonferenzen wirbt die NRW-CDU gerade bei der Basis für ihr Wahlprogramm, das ein Landesparteitag am 1. April verabschieden soll. Schauplatz in Bottrop war die Lohnhalle der Zeche Arenberg, wo die Kumpel früher einmal im Monat eine Tüte voll Geld in die Hand gedrückt bekamen. Weiße Kacheln stützen adrette Backstein-Mauern, durchsetzt mit schwerem Schmiedeeisen vor blitzblanken Fenstern. Aufwändig renovierte wilhelminische Industrie-Architektur, wie man sie heute im Ruhrgebiet fast überall findet, wo die Fördertöpfe die Fördertürme abgelöst haben.
Am meisten fällt bei Laschets Regionalkonferenz auf, was alles fehlt: die Nationalhymne, ohne die sonst kaum eine größere CDU-Veranstaltung auskommt. Die feurige Rede, in der CDU-Prominenz aus Berlin hart an der Grenze der Wahrheit gegen Rot-Grün in NRW polemisiert. Das rockige musikalische Intro. Image-Filme und Hochglanzbroschüren. Stattdessen liegt das auf billigem A4-Papier ausgedruckte Wahlprogramm, dürftig von zwei Heftklammern zusammengehalten, beinahe verloren auf grün gepolsterten Stühlen, von denen etliche unbesetzt bleiben.
Laschet meint das mit der „Regionalkonferenz“ernst. Es ist wirklich mehr eine Besprechung als eine Veranstaltung. Es geht tatsächlich um Inhalte. „Wir brauchen mehr Geld für die Ärzte auf dem Land. Sonst macht das bald keiner mehr“, meldet sich nach Laschets Pro- gramm-Referat ein Mediziner aus Bottrop zu Wort. Laschet: „So was kann eine Landesregierung alleine nicht lösen.“Er verweist auf die Zuständigkeit des Bundes und der ärztlichen Selbstverwaltung. Aber dennoch sei das „ein Auftrag, den wir mal mitnehmen“. Wittke nickt und notiert es sehr demonstrativ.
Ein Stahlbauer aus Ahaus beklagt, dass er für seine oft 1000 Tonnen schwere Fracht ständig teure Brückengutachten zahlen soll: „Wieso muss ich das zahlen, wieso nicht das Land?“Ein Apotheker beklagt, dass er die Ausbildung seiner Angestellten bezahlen müsse, während andere Bildungswege vom Land finanziert würden. Ein Lehrer verlangt, dass die Pflege der Schulcomputer von Fachleuten übernommen werden soll: „So was können wir Lehrer doch nicht auch noch machen.“
Überhaupt besteht ein Großteil der Wortmeldungen aus der Forderung nach Geld: für Schulen, für Arztpraxen, für Brücken und auch für die Landesverwaltung, damit sie mehr Service gewährleisten kann. Politiker-Schicksal. Alle wollen mehr Geld. Aber niemand will höhere Steuern zahlen.
Laschet manövriert geschickt durch die widersprüchlichen Interessen, erklärt Hintergründe, zeigt Lösungsansätze auf. „Es kann nicht sein, dass ausländische Unternehmen bei uns Geld verdienen, ihre Steuern aber nur woanders bezahlen sollen“, sagt er und räumt zugleich ein, dass auch dieses Problem wohl eher der Bund lösen muss. Das Land könne die Unternehmen aber mit dem Abbau von Bürokratie entlasten: „Es gibt Firmen, die müssen eigens einen Mitarbeiter beschäftigen, der sich mit dem komplizierten Tariftreuegesetz von Rot-Grün herumschlägt.“
Um 21 Uhr moderiert der Spitzenkandidat die Veranstaltung ab. Seine erkältungsbelegte Stimme hat durchgehalten. Noch ein paar Zwiegespräche mit Gästen. Eine halbe Stunde später steigt Laschet in einen mitternachtsblauen BMW. Sein Fahrer hat frei. Heimweg nach Aachen: 148 Kilometer. Wenigstens sind nachts die Straßen frei.
Spitzenkandidat Laschet meint das mit der „Regionalkonferenz“ernst: Es geht tatsächlich um Inhalte