Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Und abends spielen wir Tanzlotto
Wenn beide Partner verdienen, droht das Familienleben ständig zu kurz zu kommen. Unser Autor lebt mit berufstätiger Frau und drei Kindern in Krefeld. Gegen den alltäglichen Wahnsinn helfen kleine Routinen – und immer wieder Humor.
KREFELD Neuerdings hängt bei uns im Wohnzimmer ein weißer Din A4Zettel mit fünf Namen und einigen Strichen. Wir haben uns für die Einführung einer Schimpfwortliste entschieden, weil Anton (9), Josef (6) und Klara (3) es seit Kurzem für lustig halten, gewisse Menschen im Haushalt mit Kosenamen zu piesacken, die die Grenze zur Beleidigung streifen. Seitdem wird für jedes Schimpfwort, das in unserem Haus fällt, ein Strich auf der Liste hinter demjenigen gemacht, der es ausgesprochen hat. Wenn einer der drei fünf Striche hat, so haben es die Kinder selbst festgelegt, muss er mit ordnungspolitischen Maßnahmen rechnen – keine Schokolade am Nachmittag oder ohne Fernsehen ins Bett. Es war als erzieherische Maßnahme für die Kinder gedacht. Papa führt mit vier Strichen.
Das Leben in einer kleinen Großfamilie ist wunderschön, aber manchmal ist es eben auch zum Fluchen, wenn beide Eltern berufstätig sind. Es wird also wahrscheinlich mehr geschimpft als früher, definitiv verbringen wir jedoch weniger Zeit mit unseren Kindern als die Eltern damals mit uns. Früher schloss es sich fast aus, Doppelverdiener zu sein und Familie zu haben. In unserem Freundeskreis sind jetzt fast alle Doppelverdiener – obwohl sie Kinder haben. Und bei fast allen gibt es die gleiche Klage: Kinder, wo ist die Zeit geblieben?
Meine Frau hat mindestens drei Jobs: Eine volle Stelle zu Hause und eine halbe Stelle an einem Gymnasium mit zwei Korrekturfächern, und deshalb liegt fast immer ein Stapel Klausuren auf ihrem Schreibtisch. Ihren dritten Job verbringt sie am Steuer. Sie arbeitet nämlich ohne Entlohnung im Taxigewerbe. Jeden Nachmittag holt sie unsere drei Kinder aus Schule und Kita ab und kutschiert sie nachmittags weiter an die Orte ihres Vergnügens. Wir versuchen zwar, das Freizeitprogramm der Kinder auf ein Nötigstes zu reduzieren. Dennoch vergeht fast kein Nachmittag, an dem unser Toyota Corolla Verso (Sie erkennen ihn leicht am Sandkasten auf der Rückbank) nicht durch die Stadt rollt: zum Schwimmkursus, Fußballtraining, Kommunion-Unterricht oder Kindergeburtstag. Töchterchen Klara zeigt neuerdings Interesse an Pferden. Gut möglich, dass das Taxi Mama bald auch den Pferdehof in seine Route aufnehmen muss. So rauschen die Nachmittage vorbei und den Unterricht kann meine Frau erst vorbereiten, wenn die Kinder im Bett sind. Krefelder Nächte sind lang.
Wir beide mögen unsere Jobs, auch wenn sie zeitintensiv sind. Und doch ist die beste Zeit des Tages jene, wenn man nach der Arbeit nach Hause kommt, die Haustür aufschließt, und von drei jubelnden Kindern empfangen wird. „Papa, ich habe mich im tiefen Becken zu tauchen getraut.“„Ich habe eine neue Zahnbürste von Lillifee.“„Papa, wir haben Mathe zurück.“Die Familienzeit für alle zusammen beschränkt sich auf eine halbe Stunde am Morgen und manchmal eine am Abend. Die muss genutzt werden. Viel zu oft ertappt man sich aber dabei, dass man am Abendbrottisch vom Beruf redet. Wichtig sind also die Unterbrechungen der Routine durch Humor. Eine ist bei uns derzeit das Tanzlotto. Nach dem Abendessen schalten wir die Musikanlage auf „Shuffle“, und dann wählt ein Zufallsgenerator Musikstücke aus. Jeder ist mal mit Tanzen an der Reihe; egal, ob gerade Pink Floyd, Nirvana oder Bläck Fööss läuft. Es empfiehlt sich übrigens, beim Tanzlotto die Rollos herunterzulassen. Die Nachbarn könnten Sie am nächsten Tag sonst komisch anschauen. Wenn es sich ausgetanzt hat, ist die Gute-Nacht-Geschichte Pflicht. Nur im Ausnahmefall, wenn Papa ganz müde ist, holt er das Tablet nach oben und alle schauen sich bei Youtube kuriose Fußballtore und Fußballpannen an. Dass das vielleicht pädagogisch nicht wertvoll ist, wissen wir. Wer jetzt aber mahnend den Zeigefinger heben will, der versuche, im Zustand größter Müdigkeit das Buch „Was ist was – die Feuerwehr“vorzulesen.
Es gibt tatsächlich viele Abende, an denen man ermattet zu Hause im Sofa sitzt und traurig erkennt, dass man definitiv viel zu selten mit seinen Kindern zusammen ist. Man müsste mal wieder zusammen schwimmen gehen, in den Zoo, ins Fußballstadion. Dann tröstet man sich damit, dass es den Kindern gut zu gehen scheint. Und dass Familie heute mehr ist als Mutter, Vater, Kind. Es gibt einige Instanzen, die uns helfen, eine kleine Großfamilie sein zu können: Da sind Kindertagesstätte und Schule, die sich liebevoll um die Kinder kümmern. Klara fragt morgens immer. „Mama, darf ich heute in die Kita?“Wenn wir dann am Wochenende „Nein, heute nicht“sagen, dann weint sie manchmal. Traurig macht uns das nicht. Es würde uns viel mehr weh tun, wenn sie jeden Morgen weinte, wenn wir sie in der Kita abgeben. Der wirkliche Doppelverdienerfamilienwahnsinn beginnt übrigens immer dann, wenn ein Kind nicht in die Kita oder Schule gehen kann. Eine Krankheit bringt das mühsam gestrickte Konstrukt ins Wanken. Das ist manchmal so kompliziert, dass es dafür einen eigenen Studiengang „Familienlogistik“geben müsste. Meine Frau würde ihn mit summa cum laude abschließen. Wer fährt wann zum Arzt, wer kann wo später kommen? In 30 Minuten am Morgen muss ein ganzer Tag neu geplant werden. Auf die Großeltern ist da immer Verlass.
Wenn Du Eltern von drei Kindern bist, dann tauschst Du Zweisamkeit gegen Fünfsamkeit. Dass die Doppelverdiener mal im verdienten Doppel auftreten, kommt nur noch selten vor: Letztens waren wir abends mal wieder im Theater. Den Gutschein dafür hatte ich meiner Frau ein Jahr zuvor zu Weihnachten geschenkt, was ein deutliches Indiz dafür ist, wie wenig Zeit einem bleibt. Die Kinder hatten wir für diesen Abend zu Opa und Oma gebracht, eine Autofahrstunde entfernt von uns. Es war ein schöner Abend, das Stück im Krefelder Stadttheater war amüsant. Wir gingen dann noch etwas essen. Wir erzählten uns aber ausgerechnet von denen, die wir für diesen Abend doch einmal nicht sahen: den Kindern. Wir zückten unsere Smartphones und zeigten uns gegenseitig Bilder von ihnen. Ganz normal ist das nicht. Da setzt man alles daran, keine Helikoptereltern zu sein, und sind die Kinder einmal weg, glotzt man auf ihre Handyfotos.
So gern wir unsere Kinder haben. Auf manches kann man als Eltern in einer Großfamilie irgendwann auch verzichten. Eine der niedersten Tätigkeiten in dieser Hinsicht ist das Wechseln der Windeln. Letztens haben wir gemerkt, dass wir in diesem Jahr einen runden Geburtstag feiern könnten. Seit der Geburt von Anton 2007 legen wir unserem Nachwuchs jetzt ununterbrochen Pampers an. Mit etwas Glück bleibt uns das Zehnjährige doch noch erspart. Klara trägt seit ein paar Tagen keine Pampers mehr. Es ist zwar mühsam, immer wieder geht es buchstäblich in die Hose. Wir versuchen aber, auf das Fluchen zu verzichten. Der Grund ist die verflixte Schimpfwortliste. Wenn Papa fünf Striche hat, muss er für Klara Blumen und für die Jungs „MatchAttax“-Fußballkarten kaufen. Zwei Euro kostet eine Packung. Auch aus Sicht von Doppelverdienereltern sündhaft überteuert.
Die beste Zeit des Tages ist jene, wenn man nach der Arbeit von drei jubelnden Kindern empfangen wird Dass die Doppelverdiener mal im verdienten Doppel auftreten, kommt nur noch selten vor