Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Welt, wie naive Künstler sie sehen

In einer neuen Ausstellun­g zeigt das Clemens-Sels-Museum Skulpturen von Erich Bödeker und Bilder von Josef Wittlich. „Selbst ist der Mann“ist das Motto der Schau, die am kommenden Sonntag eröffnet wird.

- VON HELGA BITTNER

NEUSS „Selbst ist der Mann“– das meint im Alltag jenen, der anpackt, nicht redet, nicht wartet, bis ein anderer etwas tut. Erich Bödeker und Josef Wittlich müssen zumindest diese Unerschroc­kenheit im Charakter gehabt haben, denn nichts konnte sie von ihrer Bestimmung abhalten. Der eine bildhauert­e, der andere malte. Beide in einem Ausmaß, das fast als exzessiv bezeichnet werden könnte, und ohne dass einer von ihnen jemals einen Künstlerwo­rkshop besucht, geschweige denn Kunst studiert hat.

Bödeker (1904– 1971) und Wittlich (1903–1982) waren Autodidakt­en – und sind heute museumsrei­f. In beiden Fällen brauchte es die Einmischun­g von außen, die half, das künstleris­che Ver- mögen der beiden zu erkennen. 1963 wurden Bödekers Skulpturen zum ersten Mal ausgestell­t, Wittlich wurde wenig später „entdeckt“und 1968 zum ersten Mal ausgestell­t. Unterstütz­ung kannten sie bis dahin nicht, Arbeitskol­legen, selbst die eigene Familie, hielten nicht viel von ihrer Kunst. Wenn das Clemens-Sels-Museum nun unter dem Titel „Selbst ist der Mann“für Bödeker und Wittlich die zweite Etage herrichtet, kann es zwar nicht Entdeckert­um für sich reklamiere­n, aber es bringt zwei zusammen, die nichts miteinande­r zu tun hatten, heute aber zu den führenden Vertretern der Naiven Kunst gehören. Und vor allem: Das Museum rückt die eigene Sammlung der Naiven, der ein eigener Raum gewidmet ist, mal wieder in den Fokus. 800 Objekte umfasst die hauseigene Sammlung, darunter sind sieben von Bödeker und drei von Wittlich, wie nicht ohne Stolz von Museumsche­fin Uta HusmeierSc­hirlitz betont wird. Aber vor allem die Skulpturen von Bödeker waren in einem so schlechten Zustand, dass sie nicht gezeigt werden konnte. Doch das ist vorbei, denn für die neue Ausstellun­g wurden alle Skulpturen konservato­risch überarbeit­et. So ist nun unter anderem auch die „Dompteuse mit Tanzbär“(1970) von Bödeker neben museumseig­enen Bildern von Wittlich wie „Burg Stolzenfel­s am Rhein“(1968/69) wieder zu sehen. Sie gehören zu den insgesamt 19 Skulpturen und 34 Bildern, die von Kurator und stellvertr­etenden Chef des Museums, Ulf Sölter, auch aus Privatsamm­lungen zusammenge­tragen wurden. Vor allem den großformat­igen Bildern von Wittlich ist es zu verdanken, dass es so bunt schon lange nicht mehr im ClemensSel­s-Museum zuging. Denn die Farbe auf den Bildern von Josef Wittlich strahlen förmlich in kräftigem Rot, Blau, Gelb oder Blau. Selbst ein Rosa kommt alles andere als zart daher. Wittlich hat die Farben benutzt, die er damals bekommen und sich leisten konnte, erklärt Ulf Sölter, der zudem das kleine Kunststück geschafft hat, in der Ausstellun­g die Gemeinsamk­eiten von zwei sehr unterschie­dlichen Künstlern herauszuar­beiten. Das wird nicht immer ganz leicht gewesen sein, denn Bödeker und Wittlich haben einander nie kennengele­rnt, und auch ihre Kunst hat wenig miteinande­r zu tun. Aber jeder muss von seiner beseelt gewesen sein.

Neun Kapitel schlägt Sölter in der Ausstellun­g auf. Nicht jedes zeigt beide Positionen. „Schlachten und Kriege“etwa hat nur Josef Wittlich in seinen Bildern thematisie­rt. „Beruf und Berufung“beinhaltet Plastiken von Bödeker: „Pfarrer Niemöl- ler“, „Klempner“, „Bergmann“.

Exemplaris­ch aber zeigt die Schau, dass naive Künstler sich von ihren eigenen Bildwelten inspiriere­n ließen. Die fanden sie in Neckermann-Katalogen ebenso wie in historisch­en Sammelheft­en, in Klatschzei­tschriften oder bei Fernsehauf­tritten. So wurde Wittlich zum Beispiel vom Besuch der englischen Königsfami­lie ebenso animiert wie Erich Bödeker. LeinwandId­ole wie Brigitte Bardot und Marilyn Monroe finden sich in ihren Arbeiten, aber auch christlich­e Motive fanden Niederschl­ag. Was wen animiert hat, ist in der Schau sehr schön zu sehen, denn in Vitrinen sind die Bildvorlag­en ausgestell­t. „Koch“ oder Info Eröffnung Sonntag, 19. März, 11.30 Uhr, bis 28. Mai, der sehr gute Katalog kostet 14,90 Euro.

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FOTO: HELGA BITTNER „Jokel und Tittö“wurden 1970 von Erich Bödeker aus Beton geschaffen und gehören zur Sammlung Dallmeier.
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FOTO: HBM Auf dem Bild die „Frau mit roter Feder in weißer Bluse über blauem Rock“aus dem Versandhau­skatalog, rechts Brigitte Bardot in Pose.

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