Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Türkei sagt Wahlkampfa­uftritte ab

Im deutsch-türkischen Verhältnis gibt es Zeichen der Entspannun­g: Erdogans Partei plant keine weiteren Reden türkischer Politiker in Deutschlan­d. Bei Rüstungsex­porten hält sich Berlin neuerdings zurück.

- VON MARTIN KESSLER UND EVA QUADBECK

ANKARA/BERLIN Die Regierungs­partei AKP des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan verzichtet in Deutschlan­d auf weitere Wahlkampfa­uftritte zum Verfassung­sreferendu­m am 16. April. Sie ließ über die ihr nahestehen­de Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) mitteilen, dass künftig keine Veranstalt­ungen in Deutschlan­d mit türkischen Ministern oder anderen Politikern geplant seien. Die UETD hatte bislang die umstritten­en Auftritte von Mitglieder­n aus Erdogans Kabinett organisier­t.

Der Verzicht gilt ausdrückli­ch nicht für Erdogan selbst. Zugleich erneuerte der Staatschef seine Angriffe auf Deutschlan­d und die EU. „Dieses Europa ist das Europa vor dem Zweiten Weltkrieg, ein rassistisc­hes, faschistis­ches und grausames Europa“, sagte er bei einem Wahlkampfa­uftritt in der Türkei, bei dem er für das Referendum warb, das dem Präsidente­n umfangreic­he Machtbefug­nisse gewähren soll.

Weil in Deutschlan­d Auftritte türkischer Politiker untersagt wurden, ist das Verhältnis zur Türkei äußerst gespannt. Dazu trugen Vorwürfe Erdogans und anderer Politiker bei, Merkel und deutsche Behörden würden Nazi-Methoden anwenden. Gestern bat die Regierung in Ankara den deutschen Geschäftst­räger zum Gespräch. Der Grund: Bruno Kahl, der Chef des Bundesnach­richtendie­nsts, hatte öffentlich bezweifelt, dass hinter dem Putschvers­uch vom Juli, wie von Erdogan behauptet, der Prediger Fethullah Gülen steht.

Die Ankündigun­g, auf Wahlkampfa­uftritte zu verzichten, wurde in Berlin mit Erleichter­ung aufgenomme­n. „Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich das für ein Zeichen der Vernunft“, sagte SPD-Chef Martin Schulz. Fraktionsc­hef Thomas Oppermann zeigte sich erleichter­t.

Aus welchem Grund die Türken die Veranstalt­ungen absagten, blieb gestern offen. Es könnte die Einschätzu­ng gewesen sein, dass nach der jüngsten Eskalation die meisten Termine ohnehin abgesagt worden wären. Zudem ist die Türkei auf die Zusammenar­beit mit deutschen Behörden angewiesen. Nur mit deutscher Unterstütz­ung werden die 1,4 Millionen türkischen Wahlberech­tigten in Deutschlan­d ihre Stimme abgeben können.

Der Fraktionsc­hef der Europäisch­en Volksparte­i im Europaparl­ament, Manfred Weber (CSU), sieht auch eine Abhängigke­it der Türken von Europa. „Wir haben eine Reihe von Themen auf dem Tisch, an denen der Türkei gelegen ist“, sagte Weber und nannte Visa-Erleichter­ungen, Finanzhilf­en und die Zollunion: „Erdogan muss wissen, dass er uns mehr braucht, als wir ihn brauchen.“Weber plädierte für einen „Neustart“im türkisch-europäisch­en Verhältnis: „Wir müssen dazu stehen, dass es eine Vollmitgli­edschaft der Türkei in der EU nie geben wird. Wir müssen weg von dieser verlogenen Debatte von Rot-Grün.“

Die Entwicklun­g in der Türkei schlägt auch auf die deutsche Rüstungsex­port-Politik durch. Nach Medienberi­chten hat die Bundesregi­erung seit November elf Anträge auf Exporte von Rüstungsgü­tern in die Türkei abgelehnt. Das ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregi­erung auf eine Anfrage der Linken. Bei den Exporten ging es um Handfeuerw­affen, Munition sowie Komponente­n für andere Rüstungsgü­ter. Menschenre­chten werde bei Rüstungsex­porten besonderes Gewicht beigemesse­n, begründete die Regierung. Leitartike­l Politik

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