Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Apotheken-Versandhandel bringt Vorteile“
Für das Wahlprogramm der SPD kündigt Wirtschaftsministerin Zypries eine Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen an. Im Streit mit der Union um den Apotheken-Versandhandel zeigt sie sich kompromissbereit.
BERLIN Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries treffen wir in ihrem Ministerium in Berlin-Mitte. Wir sitzen an einem großen ovalen Tisch, an dem ein Dutzend Leute Platz nehmen könnten. Zum Ende ihrer Karriere hat es Zypries noch einmal ganz nach oben gespült. Im Herbst will sie zur Bundestagswahl nicht wieder antreten. Es gebe Jüngere, sagt die 63-jährige SPD-Politikerin ohne Wehmut.
US-Präsident Trump will die US-Industrie vor unliebsamer Konkurrenz schützen und kündigt deshalb Freihandelsverträge auf. Eröffnet das für die EU neue Chancen im Rest der Welt?
ZYPRIES Es ist für uns in Europa notwendiger geworden eng zusammenzustehen, den Schwellenländern im Lateinamerika und Asien mehr Aufmerksamkeit zu widmen und unsere Freihandelsverträge mit anderen Weltregionen, zum Beispiel mit Japan, schneller voranzubringen. Das gilt besonders angesichts der Ankündigungen aus den USA. Diese scheinen zu bewirken, dass die Freihandelsabkommen in der Öffentlichkeit wieder wichtiger genommen und ins rechte Licht gerückt werden.
Wer gegen TTIP protestiert hat, ist wegen Trump jetzt ins Nachdenken gekommen?
ZYPRIES Mein Eindruck aus vielen Begegnungen ist, dass der Wert des fairen Handels ohne Mauern und Barrieren sichtbarer zu Tage tritt, wenn er gefährdet zu sein scheint. Das betrifft auch die Abkommen TTIP und Ceta. Protektionismus schadet allen, auch der US-Wirtschaft. Es zahlt sich nie aus, wenn man in einer globalisierten Welt Mauern baut, seien sie aus Steinen oder seien es Handelsbeschränkungen.
In Baden-Baden beim G20-Treffen haben sich die USA geweigert, dem Protektionismus den Kampf anzusagen. Müssen wir einen Handelskrieg befürchten?
ZYPRIES Dort haben die Kollegen der neuen US-Administration tatsächlich leider eine Formulierung durchgesetzt, die nicht nach vorne weißt. Wir bleiben dran und suchen weiter den Dialog, viele G20-Konferenzen zu den Themen Handel, Energie und Digitalisierung stehen ja noch an bis zum Gipfel in Hamburg.
Die USA undGroßbritannien haben eine deutliche Senkung der Unternehmenssteuern angekündigt. Werden wir da nachziehen müssen, wie Bundesfinanzminister Schäuble meint?
ZYPRIES Es darf bei den Firmensteuern keinen internationalen Wettlauf nach unten geben, auch nicht innerhalb der EU. Es ist die Aufgabe von Herrn Schäuble, den Steuerwettlauf nach unten in der EU zu beenden. Dass Irland immer noch so niedrige Steuersätze hat, schadet.
Beim Apotheken-Versandhandel liegt die SPD mit der Union quer. Die Union will ihn verbieten, Sie erlauben. Warum halten Sie das Gesetz von Minister Gröhe auf?
ZYPRIES Es ist schon befremdlich, dass in diesen Zeiten, in denen überall der Internet-Handel wächst, eine Sparte völlig ausgenommen und der Internet-Handel für sie verboten werden soll. Nach allen Untersuchungen die wir haben, gehen wir nicht davon aus, dass durch den Online-Handel mit Arzneien Apotheken wegsterben würden. Es gibt keine Belege für negative Auswirkungen auf die Arzneimittelversorgung, seit der Versandhandel zulässig ist. Die Verbraucher gehen deshalb doch nicht weniger in die Apotheke. Nicht umsonst ist die ApothekenUmschau die meistgelesene Zeitung in Deutschland.
Wie geht es in dem Streit weiter?
ZYPRIES Wir wollen den Versandhandel nicht völlig verbieten, da er gerade im ländlichen Raum und für chronisch kranke Menschen große Vorteile bringt. Deshalb sind wir derzeit in Gesprächen, um über eine geeignete Regelung Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Sie haben für die nächste Legislaturperiode Entlastungen für untere Einkommen angekündigt. Was genau schwebt Ihnen vor?
ZYPRIES Es ist wichtig, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten, im unteren Bereich gegebenenfalls auch bei den Sozialbeiträgen. Eine vierköpfige Familie, die beispielsweise weniger als 2000 Euro netto im Monat zur Verfügung hat, hat angesichts gestiegener Mietpreise Schwierigkeiten damit im Monat über die Runden zu kommen, geschweige denn, etwas für den Nachwuchs anzusparen. Da brauchen wir Entlastung für Familien. Wie wir das machen, müssen wir bei unserem Wahlprogramm diskutieren.
Wie wollen Sie das im Haushalt gegenfinanzieren?
ZYPRIES Wir müssen den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Steuerumgehung verstärken. Außerdem wollen wir Kapital und Arbeit gleich besteuern.
Nordrhein-Westfalen belegt im Ländervergleich beim Wachstum einen der letzten Plätze. Machen Sie sich Sorgen um NRW?
ZYPRIES Nein. Meine Parteifreunde Hannelore Kraft und Garrelt Duin leisten hervorragende Arbeit für NRW. Das Land ist bei ihnen in guten Händen.
Die Ministerpräsidentin und ihr Wirtschaftsminister hatten ja schon einige Zeit es hinzukriegen…
ZYPRIES Ich wüsste nicht, was sie in NRW hätten besser machen müssen. NRW steht mit dem Strukturwandel vor anderen Herausforderungen als andere Länder. Beim Thema Start-Up-Unternehmen hat NRW die Nase vorne. Die Ansiedlung von Firmen rund um Universitäten ist erfolgreich. Beste Beispiele sind das Hochtechnologiezentrum Bochum oder die RWTH Aachen. Unser gemeinsames Ziel ist, mit Martin Schulz den Kanzler einer starken und stabilen Regierung zu stellen.