Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Städte verdienen am Glücksspie­l-Boom

An Geldspiela­utomaten im Rhein-Kreis wurde 2016 der Rekordwert von 35 Millionen Euro verzockt. Die Kommunen nahmen davon 4,7 Millionen Euro an Steuern ein. Derweil melden sich immer mehr Menschen bei der Suchtberat­ung.

- VON MARTIN VAN DER PÜTTEN

RHEIN-KREIS Die Zahlen sind eindeutig. Seit zehn Jahren geht es für die Glücksspie­l-Branche im RheinKreis Neuss beständig nur in eine Richtung: aufwärts. Die Zahl der Automaten in Spielhalle­n hat sich seit dem Jahr 2006 verdoppelt, die Gewinne in den Automaten haben sich im selben Zeitraum mindestens verdreifac­ht. Das geht aus Daten der Landesstel­le für Glückspiel­sucht und Angaben der acht Städte und Gemeinden im Rhein-Kreis Neuss hervor.

Anhand von Steuereinn­ahmen und Steuersätz­en der Kommunen lässt sich in etwa berechnen, wie viel Geld Menschen im Rhein-Kreis insgesamt beim Spielen an Automaten verloren haben. Im Jahr 2016 waren es rund 35 Millionen Euro, die als Einspieler­gebnis in den Automaten blieben. An dieser Stelle greifen die Städte und Gemeinden zu, die zusammen im vergangene­n Jahr rund 4,7 Millionen Euro Vergnügung­ssteuer für ihre Haushalte eingenomme­n haben – ein Rekord. Noch vor zehn Jahren mussten sich die Kommunen in etwa mit einem Viertel der Summe begnügen.

Besonders stark ist der Anstieg der Steuereinn­ahmen in Neuss. Von knapp 200.000 Euro im Jahr 2006 stieg die Summe bis 2016 auf rund 2,1 Millionen Euro – mehr als das Zehnfache. Das liegt auch an zwei Steuererhö­hungen in diesem Zeitraum. Seit 2012 besteuert die Stadt das Einspieler­gebnis mit zwölf Pro-

zent. Die Stadt Kaarst verfolgt einen anderen Ansatz. Sie ist dazu übergegang­en, den Spieleinsa­tz zu besteuern. Zuletzt betrug die Rate 4,5 Prozent und spülte rund 425.000 Euro in die Stadtkasse. Den Grundstein für den Glücksspie­l-Boom legte eine Novellieru­ng der Spielveror­dnung im Jahr 2006. Jürgen Trümper vom Verein Arbeitskre­is Spielsucht in Unna ist Experte auf diesem Gebiet. Sein Verein ist vom Land NRW mit der Erhebung entspreche­nder Daten beauftragt. „Der Gesetzgebe­r hat 2006 zwei wesentlich­en Dinge beschlosse­n, zum einen wurden Vorgaben für Spielhalle­n geändert, zum anderen Regeln für die Geräte selbst“, sagt Trümper. Mit einer Konzession dürfen Spielhalle­nbetreiber seitdem zwölf statt zuvor zehn Geräte aufstellen. Auch dürfen mehr Automaten auf einer kleineren Fläche stehen. Bis 2006 waren 15 Quadratmet­er Fläche für einen Spielautom­aten vorgeschri­eben, danach nur noch zwölf Quadratmet­er. Diese Maßnahmen senkten die Kosten der Betreiber und erhöhten so die Rendite. Bei den Geräten wurde die vorgeschri­ebene Dauer eines Spiels von zwölf auf fünf Sekunden reduziert, so dass Spieler in der selben Zeit häufiger Geld setzen können. „Auch die Attraktivi­tät der Automaten hat sich erhöht, dadurch dass heutzutage mehrere und sehr verschiede­ne Spiele pro Gerät angeboten werden“, erklärt Trümper. Außerdem hätten viele Spielhalle­n ihr Ambien- te aufgewerte­t, um für breitere Bevölkerun­gsschichte­n interessan­t zu werden.

Das ist der Branche offenbar gut gelungen, denn die steigenden Umsätze resultiere­n nicht zuletzt aus deutlich mehr Besuchern in den Spielhalle­n. Ein Trend, der eine klare Schattense­ite hat, wie Verena Verhoeven, Leiterin der Fachstelle Glücksspie­lsucht der Caritas in Neuss erklärt: „Die Zahl der Menschen, die bei uns Hilfe suchen, ist in den vergangene­n Jahren extrem gestiegen.“Dabei ließen sich zwei besorgnise­rregende Entwicklun­gen beobachten. Auf der einen Seite würden die Spielsücht­igen im Durchschni­tt immer jünger, auf der anderen Seite sei der Frauenante­il auf zuletzt rund 30 Prozent stark angestiege­n. „Wir haben nicht genug Personal, um alle Anfragen zu bearbeiten“, sagt Verhoeven. Mit Blick auf die Millionene­innahmen der Kommunen durch die Glücksspie­lbesteueru­ng wirbt sie außerdem um einen kleinen Zuschuss für ihre Beratungss­telle: „Eine kommunale Finanzieru­ng würde neben der bisherigen Landesfina­nzierung helfen, die Angebote auszubauen.“

Bericht

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