Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Lesetipps zum Ersten Weltkrieg
lingt, Franzosen und Briten auf den Schlachtfeldern zu schlagen, dann sollen nun eben die Briten gleichsam hintenrum auf die Knie gezwungen werden: durch Vernichtung ihrer Versorgung. Fünf Monate lang jeweils 600.000 Bruttoregistertonnen Schiffsraum versenken, dann sei England friedensreif, tönt der Admiralstab. 841.000 Tonnen sind es im April. Es ist einer der wenigen Momente des ganzen Krieges, in denen eine britische Niederlage möglich scheint. Endlich sollen die Briten in der Sicherheit ihres Inselreichs getroffen werden. Sie empfindet man als Hauptgegner – und sie sind die Urheber der Seeblockade, die im Reich eine Hungersnot ausgelöst hat. 1916/17, das ist der „Steckrübenwinter“; die tägliche Versorgung sinkt im Reich auf 1000 Kilokalorien pro Kopf.
Von Beginn an ist der Krieg auch eine weltanschauliche Auseinandersetzung gewesen. Der deutsche Ökonom Werner Sombart hat ihn schon 1915 als Kampf zwischen „Händlern und Helden“bezeichnet. 1917 aber markiert auch hier eine neue Dimension. Noch ein Jahr danach, als sich die vermeintliche Wunderwaffe U-Boot längst als Fehlschlag entpuppt hat, fabuliert der Kaiser vom „Sieg der Monarchie über die Demokratie“: „Entweder soll die preußisch-deutsch-germanische Weltanschauung – Recht, Freiheit, Ehre, Sitte – in Ehre bleiben oder die angelsächsische – das bedeutet: dem Götzendienste des Geldes verfallen.“Umgekehrt stilisiert US-Präsident Woodrow Wilson den Kriegseintritt zur Mission, „die Welt sicher für die Demokratie zu machen“. „Das Recht ist kostbarer als der Frieden“, sagt Wilson am 2. April vor dem Kongress. Für Lenin schließlich zählt ohnehin nur die Weltrevolution.
Militärisch bringt auch dieses Jahr keine Entscheidung. Die monströsen Materialschlachten von 1916 an der Somme und bei Verdun sind vorüber; im März ziehen sich die Deutschen in Frankreich sogar freiwillig in die besser zu verteidigende „Siegfriedstellung“zurück. Aus dem Vorfeld der Front lässt die Oberste Heeresleitung 100.000 Zivilisten deportieren und die Infrastruktur systematisch zerstören. Verbrannte Erde: auch ein Aspekt des totalen Krieges.
Dass 1917 viele Hemmungen fallen, liegt auch daran, dass die kriegführenden Nationen – Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Russland, Italien – erschöpft sind. Zehntausende Franzosen desertieren oder meutern, als eine erneute Frontaloffensive vor den gut ausgebauten deutschen Stellungen verblutet. Im Sommer meutern Matrosen der deutschen Hochseeflotte. Im Oktober durchbrechen Deutsche und Österreicher die italienische Front bei Caporetto in Friaul; Chaos und Demoralisierung sind die Folge. Briten und Franzosen stabilisieren mit Müh und Not die italienische Front kurz vor Venedig.
Was in Italien misslingt, funktioniert in Russland: Die siegreichen Bolschewiki wollen den Krieg um jeden Preis beenden, um freie Hand für die Revolution zu haben. Ergebnis ist ein Waffenstillstand, der plötzlich Deutschland und Österreich-Ungarn das Zweifrontenproblem nimmt. Auch deshalb wird 1917 ein Friede auf der Basis einer Verständigung endgültig unmöglich – Initiativen Wilsons, des Papstes und einer linken Reichstagsmehrheit scheitern. Denn ab jetzt heißt die Alternative: Sieg oder vollständige Niederlage. Mit Georges Clemenceau und David Lloyd George stehen inzwischen in Großbritannien und Frankreich Männer an der Regierungsspitze, die diese Entschlossenheit ihrerseits verkörpern. Ende 1917 glauben alle Seiten an die Möglichkeit eines Sieges, auch das Kaiserreich, obwohl der Krieg auf dem Papier für Deutschland verloren ist. Aber bis die Amerikaner in nennenswerter Zahl in Frankreich stehen, dauert es noch; eine letzte Offensive ist möglich. Im Frühjahr 1918 bringt sie die Briten und Franzosen noch einmal in Not, die Niederlage aber kann sie nicht mehr abwenden. Umso größer ist der Schock, als der deutschen Öffentlichkeit 1918 die Katastrophe klar wird.
1917 wachsen auf der Linken die revolutionären Hoffnungen. 1917 wächst auch die Spannung zwischen Realität und militärischem Anspruch noch einmal. Ein knappes Jahr noch wird dieser Spannungsbogen halten, dann bricht er zusammen. Für das Kaiserreich ist es die Stunde der Niederlage. Quer über den Kontinent ist es die Stunde der Extremisten. Woodrow Wilson Helmut Altrichter: Russland 1917. Ein Land auf der Suche nach sich selbst. Schöningh, 622 S., 34,90 Euro. Jörn Leonhard: Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs. Beck, 1168 S., 38 Euro. Michael Salewski: Der Erste Weltkrieg. Schöningh, 415 S., 38,90 Euro. Lebendiges Museum Online: Projekt des Deutschen Historischen Museums, des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik und des Bundesarchivs: www.dhm.de/lemo Boot versenkt einen Ein deutsches U- Ein deutsches Plakat wirbt für die neue Kriegsanleihe und für die neuartigen U-Boote. Der Weg an die Macht: Bolschewistische das Winterpalais Revolutionäre stürmen in Petrograd.
„Das Recht ist kostbarer als der Frieden“ US-Präsident, am 2. April 1917 vor dem Kongress
Uncle Sam ruft: Dieses w Plakate entwirft James Mont die Armee um Rekruten. B Exem