Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Bayers Krise ist auch Völlers Krise
Leverkusens Sportchef flüchtet sich in bekannte Erklärungsmuster: Es sind immer die anderen schuld.
LEVERKUSEN Äußerlich gefasst, aber innerlich brodelnd trat Rudi Völler nach dem 3:3-Spektakel gegen den VfL Wolfsburg vor die Journalisten. Wieder einmal fiel es dem Sportdirektor von Bayer 04 sichtlich schwer, eine plausible Erklärung für das Geschehen auf dem Platz zu finden. Die Werkself aus Leverkusen führte gegen die aus Wolfsburg erst 2:0, lag dann kurz vor Schluss 2:3 zurück, und kam durch einen Linksschuss von Kai Havertz in der 89. Minute noch zu einem Re- mis. Ein Schuldiger für die sportliche Achterbahnfahrt war für Völler schnell gefunden: Schiedsrichter Deniz Aytekin. Ein „Geschenk“sei der „total lächerliche“Elfmeter in der 87. Minute gewesen, den Mario Gomez für die Vollendung seines Hattricks zum 2:3 nutzte. Den Ex-Schiedsrichter und TV-Experten Peter Gagelmann, der Aytekins Pfiff als richtige Entscheidung wertete, bezeichnete Völler zudem als „Pflaume“. Dann gab es einen bemerkenswerten Einblick in die Gedankenwelt des 56-Jährigen: „So ist halt diese verfluchte Saison.“Da ist sie wieder: Die ominöse höhere Macht, die Bayer 04 in dieser Spielzeit davon abhält, nachhaltig erfolgreich zu sein. Mit einer nüchternen Analyse hat diese Aussage freilich wenig zu tun. Denn zur Wahrheit gehört, dass Leverkusen reichlich Glück hatte. Wolfsburg generierte viele hochkarätige Chancen und war insgesamt die bessere Mannschaft. Das 2:0 durch Kevin Volland (65.) war zu dem Zeitpunkt mehr als schmeichelhaft. Das Gefühl, dass die Elf von Trainer Tayfun Korkut den Vorsprung sicher über die Zeit bringen würde, kam eigentlich zu keinem Zeitpunkt auf. Die GomezGala in der Schlussphase bestätigte diese Vorahnung.
Der Wechsel auf der Trainerbank hat bisher nicht den erhofften Effekt. Drei Spiele, zwei Punkte, 4:5 Tore – die Bilanz von Korkut in der Liga ist bestenfalls durchwachsen. Längst muss sich Völler die unangenehme Frage gefallen lassen, ob das Problem bei Bayer 04 möglicherweise nicht auf der Bank, sondern eher eine Etage höher sitzt – nicht nur, wenn es um den Trainerwechsel geht. Er kam zu spät, sagen die einen. Man hätte bis zum Saisonende an Roger Schmidt festhalten sollen, meinen andere. Ob die Interimslösung mit Korkut, der nun vereinsübergreifend seit 16 Spielen auf einen Sieg in der Bundesliga wartet, Sinn macht, werden die kommenden Spieltage zeigen.
Dabei war die Leverkusener Fußballwelt vor knapp einem Jahr noch völlig in Ordnung. Schmidt und sein Team hatten die direkte Qualifikation für die Champions League geschafft, Völlers Vertrag wurde bis 2022 verlängert und der Kader unter anderem mit Kevin Volland, Aleksandar Dragovic und Julian Baumgartlinger verstärkt. Kostenpunkt: insgesamt etwa 42 Millionen Euro. Im Winter sicherte sich Bayer 04 zudem die Dienste des jamaikanischen Talents Leon Bailey für einen zweistelligen Millionenbetrag.
Vor der laufenden Saison kündigte Schmidt das beste Jahr unter seiner Ägide an. Der Stolz, keinen Leistungsträger abgegeben zu haben, war unüberhörbar. Am Rhein wurde munter zur Jagd auf Borussia Dortmund als Nummer zwei im deutschen Fußball geblasen.
Die Realität nach 26 Spieltagen: Platz elf, 32 Punkte. Die Relegation ist näher als die Europa League, und die Zugänge waren nur bedingt die geplante Verstärkung. Nun hoffen die Verantwortlichen auf einen Befreiungsschlag morgen Abend beim Schlusslicht in Darmstadt (20 Uhr). Alles andere als ein Sieg würde die Lage unterm Bayer-Kreuz verschärfen, zumal es bereits am Samstag zu RB Leipzig geht und eine Woche später Bayern München in die BayArena kommt – da bleibt wenig Zeit für Selbstkritik.