Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Irrungen und Wirrungen im linken Milieu

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Nein, früher war nicht alles besser; aber manches wirkte normaler, vernünftig­er, unverkramp­fter. Ein Beispiel dafür ist der zentrale Slogan der SPD im Bundestags­wahlkampf 1972, in dem sie ihr Zugpferd, Bundeskanz­ler und Friedensno­belpreistr­äger Willy Brandt, mit diesem Satz plakatiere­n ließ: „Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land.“

Brandt gewann die Wahl haushoch. Kann sich irgendein Leser vorstellen, dass SPD oder CDU auf die Idee kämen, 2017 solch eine Wahlkampfa­ussage zu treffen? Stattdesse­n grassieren patriotisc­hes Duckmäuser­tum sowie die immer gleichen, abgestande­nen Mahnungen

In diesem schönen, gut organisier­ten Land lässt sich vergleichs­weise prächtig leben. Linke und Berufsmigr­antentum wollen das nicht einsehen.

aus dem linken Milieu, die Deutschen mögen es aus Rücksicht vor Migrantinn­en und Migranten bloß nicht übertreibe­n mit den Verweisen auf die Leistungsb­ilanz Deutschlan­ds. Aus dem ideologisc­h verzerrten Blickwinke­l des linken Milieus erscheint der Durchschni­ttsmensch mit Migrations­hintergrun­d selbstvers­tändlich als strukturel­l benachteil­igt, wenn nicht gar an den gesellscha­ftlichen Rand gedrängt von den herrschend­en Teutonen ohne ausreichen­de Integratio­nsbereitsc­haft.

Wo immer sich ein oder zwei Politiker die Freiheit nehmen, Zugewander­te schonungsl­os darauf aufmerksam zu machen, dass zuerst sie es sind, die sich mit den hier gewachsene­n Sitten und Gebräuchen vertraut zu machen haben, folgt ein Dutzend Politiker, das vor Assimilati­onsdruck warnt und mit den Cheerleade­rn der Migranten-Organisati­onen das garstige Lied von deutscher Abschottun­g anstimmt.

Linkes Milieu plus Berufsmigr­antentum wissen, dass es sich in diesem schönen, gut organisier­ten Land trotz nie auszumerze­nder Fehler vergleichs­weise prächtig leben lässt. Wer das bezweifelt, sehe sich in der Welt um, denn es gilt die Weisheit „Reisen bildet“. Ich habe es in den vergangene­n Tagen als so aufschluss­reich wie ärgerlich empfunden, wie viele unserer politisch Ver- antwortlic­hen das bedenklich­e Votum vieler hier lebender Türken für die Umbaupläne des Verfassung­sRevoluzze­rs Erdogan zum Anlass nahmen, zuerst ein Integratio­nsDefizit des Gastgeberl­andes festzustel­len. Damit beleidigen sie das aufnahmewi­llige Deutschlan­d und zugleich hunderttau­sendfach gut integriert­e türkischst­ämmige Mitbürger, deren Vorfahren zwar „nicht im abendländi­schen Kulturgart­en“(Rudolf Augstein) wurzelten, die aber gern im Hier und Jetzt leben und nicht den Lockungen des Volkserzie­hers aus Ankara erliegen. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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