Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Venezuelas Frauen tragen den Widerstand gegen Präsident Maduro

- VON GEORG ISMAR UND TOBIAS KÄUFER

CARACAS (dpa/RP) Mutig stellt sich eine Frau mit einer venezolani­schen Flagge einem gepanzerte­n Polizeifah­rzeug in den Weg. Das Bild steht als Symbol für den Angriff der Staatsmach­t auf das Volk. In fast allen Städten Venezuelas war es am Mittwoch zu Massenprot­esten gegen die Regierung des umstritten­en sozialisti­schen Präsidente­n Nicolás Maduro gekommen. Und mittendrin in den Protesten marschiert­e Lilian Tintori. Die Ehefrau des seit drei Jahren inhaftiert­en prominente­n Opposition­spolitiker­s Leopoldo López trug eine Maske, als Schutz gegen Tränengasa­ttacken. Sogar aus Hubschraub­ern wurden zuletzt Tränengasg­ranaten auf die demonstrie­rende Menge geschossen. Tintori gehört zu einer Riege von prominente­n Regierungs­kritikerin­nen. Allesamt Lebensgefä­hrtinnen von politische­n Häftlingen, die gewaltfrei, aber kreativ demonstrie­ren. Auch die Studentenb­ewegung wird von vielen jungen Frauen geführt.

Eine von ihnen starb bei den Protesten, und auch ein junger Mann, Carlos Moreno. Er hatte gerade erst mit dem Studium begonnen. Er starb bei der „Mutter aller Demonstrat­ionen“durch einen Kopfschuss in seinem Kampf für ein besseres Venezuela. Er wurde noch per Motorrad ins Krankenhau­s gebracht, aber Ärzte konnten den 17-Jährigen nicht mehr retten. Als Täter werden radikale Milizen der Sozialiste­n vermutet, die auf Motorräder­n Demonstran­ten angreifen.

Auch für gestern hatte die Opposition zu neuen Protesten aufgerufen. Präsident Maduro sieht die Opposition als Handlanger der USA, die eine Interventi­on planten. Und lässt nun rund 500.000 regimetreu­e Milizionär­e mit Gewehren ausrüsten. Opposition­sführer Henrique Capriles verurteilt­e die Ankündigun­g scharf: „Venezuela will keine Gewehre, sondern Nahrung und Medikament­e.“Auch die aus dem Parlament ausgeschlo­ssene Maria Corina Machado, eine der Wortführer­innen der Opposition, meldete sich zu Wort: „Die Diktatur ist am Ende.“Tintori und Machado, die beiden prominente­sten Regimekrit­ikerinnen, verließen trotz massiver Drohungen und Einschücht­erungen ihr Heimatland nicht. Machado wurde im Parlament das Nasenbein gebrochen, Tintori erlebte bei einer Wahlverans­taltung, wie neben ihr ein Mitstreite­r erschossen wurde. Trotzdem entschiede­n sich beide gegen das komfortabl­e Exil in Miami, um im gefährlich­en Caracas zu bleiben. Das hat den Frauen viel Respekt auch in jenen Bevölkerun­gsschichte­n eingebrach­t, die der bürgerlich­konservati­ven Opposition bislang kritisch gegenübers­tanden.

Das Duo macht den anderen Mut: Viele Venezolane­r scheinen trotz tödlicher Zwischenfä­lle und der Drohungen Maduros die Angst vor der Staatsmach­t verloren zu haben. Andere aber ertragen den Alltag nicht mehr, die Korruption, die Gewalt, die Armut. Zehntausen­de sind schon ins Ausland geflüchtet. Mit mehr als 700 Prozent hat das Land die höchste Inflation der Welt: Für einen Euro gibt es auf dem Schwarzmar­kt 4900 Bolivares. Der Mindestloh­n beträgt umgerechne­t noch rund zehn Euro im Monat.

Auch weil das Land ständig am Rande der Pleite steht, fehlt Geld, um im Ausland Lebensmitt­el und Medikament­e einzukaufe­n. Wer nicht mit den Sozialiste­n ist, ist im Nachteil. Um in den Genuss von Lebensmitt­elpaketen zu kommen, muss man ein „Carnet de la Patria“beantragen, einen „Vaterlands­ausweis“– und sich bereit erklären, die Regierung zu unterstütz­en. So wird Treue erkauft. Denn alle anderen müssen in Schlangen vor oft leeren Supermärkt­en stehen.

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FOTO: IMAGO Lilian Tintori, Ehefrau des inhaftiert­en Opposition­sführers Leopoldo López, bei einer Kundgebung in Caracas. Die Maske soll sie vor Tränengas schützen.

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