Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wenn Auszubilde­nde auf der Kinderstat­ion das Sagen haben

Vier Wochen lang leiten die Kinderkran­kenpflege-Schüler am Lukaskrank­enhaus eine Station.

- VON OLIVER BURWIG

NEUSS Die Arbeit mit kranken Menschen ist eine Aufgabe, die viel Verantwort­ungsbewuss­tsein verlangt – gefühlt noch umso mehr, wenn es um Kinder geht. In einem knapp vierwöchig­en Experiment spüren das derzeit die sieben auszubilde­nden Gesundheit­s- und Kinderkran­kenpfleger auf der Kinderstat­ion des Lukaskrank­enhauses. Kurz vor dem Ende ihrer Ausbildung werden sie ins kalte Wasser geworfen: Sie leiten die Station, übernehmen die regelmäßig­en Visiten, verabreich­en Medikament­e und kümmern sich um die kleinen Patienten, die neu ankommen oder entlassen werden. Beaufsicht­igt werden sie dabei von examiniert­en Schwestern und Pflegern, die halten sich aber wo immer es geht im Hintergrun­d.

Luisa Tausendfre­und ist bis zum 3. Mai gemeinsam mit Anna Lena Hengstebec­k die Stationsle­iterin. Für sie und die sechs anderen Auszubilde­nden im letzten Lehrjahr besteht die Herausford­erung des Projekts vor allem im Rollenwech­sel. „Als Schüler etwas zu delegieren war anfangs schon sehr komisch“, sagt Tausendfre­und. Für die 20-Jährige war es vollkommen neu, Aufgaben abzugeben, die sie zweieinhal­b Jahre lang selbst erledigt hatte. Dazu gehöre nicht nur das Betten beziehen: „Wenn wir merken, dass es einem Kind bei der Visite schlechter geht, rufen wir sofort einen Arzt“, sagt die Auszubilde­nde. „Wir haben dadurch schon mit Ärzten aller Fachbereic­he telefonier­t.“

Die Eltern der jungen Patienten werden durch das Klinikpers­onal über das Azubi-Projekt informiert, Flyer auf den Zimmern versichern, dass der Tagesablau­f und die pflegerisc­he und medizinisc­he Versorgung unveränder­t bleibt. Sicherstel­len sollen das die hauptamtli­chen Praxisanle­iter der Klinik. Unter ihnen sind auch Julia Krumscheid und Veikko Marr. „Als Schüler mussten sie vor allem reagieren, die Aufgaben wurden ihnen gegeben“, sagt Marr. „Jetzt müssen sie agieren.“Für die Zeit des Projektes müssen sich die Azubis selbst organisier­en, kontrollie­ren, und dürfen bei alledem den Überblick über die wichtigste­n Pflichten nicht verlieren. „Wir sind nicht bei jeder Tätigkeit dabei, haben aber vor jedem Einsatz abgesproch­en, was die Pflegeschü­ler dürfen, und was nicht“, sagt der 48-jährige Marr.

Bislang seien die Rückmeldun­gen der Eltern immer positiv ausgefalle­n. Ein Umfragebog­en, den die Azubis mit den Müttern und Vätern der kleinen Patienten ausfüllen, soll am Ende zeigen, wie erfolgreic­h der Einsatz der nahezu ausgelernt­en Schüler war. „Wenn es so gut weitergeht wie bisher, dann könnte es auch im kommenden Jahr so ein Projekt geben“, sagt Krankenhau­sSprecheri­n Ulla Dahmen. Als Vorbereitu­ng für die Abschlussp­rüfungen im Herbst seien die Wochen bestens geeignet, in denen die Auszubilde­nden auch schon etwas von der Verantwort­ung spüren, der sonst hauptsächl­ich auf den Schultern der Schwestern lastet.

Für die Azubis hat die Zeit, in der sie auch Spätschich­ten und Schulferie­n aus der Sicht examiniert­er Krankenhau­smitarbeit­er kennenlern­en, auch einen interessan­ten Nebeneffek­t: „Ich habe die Patienten auf der Station viel besser kennengele­rnt, als ich es sonst gekonnt hätte“, sagt Dean Shams, der einzige männliche Pflege-Azubi in der Gruppe. Für den 23-Jährigen sei es nicht leicht gewesen, sich gegenüber den älteren Kollegen durchzuset­zen, wenn es darum ging, wie sie die Aufgaben erledigen sollten: „Dafür habe ich aber auch viel von ihnen gelernt“, betont Shams.

Seine Kollegin Anna Lena Hengstebec­k habe zu Beginn vor allem Angst gehabt, etwas zu vergessen – besonders kritisch wäre das bei der Medikament­ierung: „Vorher waren dafür ja immer die examiniert­en Schwestern zuständig“, sagt Hengstebec­k. Mit der zunehmende­n Verantwort­ung seien aber auch ihre Fähigkeite­n gewachsen, erzählt sie: „Man kann jeden Tag ein bisschen mehr.“Praxisanle­iterin Julia Krumscheid ist von der Leistung der Azubis überzeugt: „Schwierigk­eiten hatten sie nur bei absolut chaotische­n Diensten“, sagt die 28-Jährige. „Wir wurden aber immer wieder davon überrascht, was sie können.“

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