Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Die Diamanten von Nizza
Der Nachmittag, angefüllt mit hektischen Aktivitäten, verging wie im Flug, doch als Sam in den frühen Abendstunden das Haus verließ, war er sicher, dass sein kleines Sühneopfer dazu beitragen würde, Elenas Gunst zurückzugewinnen.
Er fand sie auf der rückwärtigen Terrasse des Le Pharo in Gesellschaft von Monica und Reboul vor, müde, aber glücklich. Der Tag in Marseille hatte sich als Erfolg auf ganzer Linie erwiesen. Die Damen hatten die Zeit damit verbracht, die Geschäfte zu erkunden, einzukaufen, zu Mittag zu essen und sich erneut auf Shoppingtour zu begeben. Sie hatten sich über ihre jeweiligen Partner ausgetauscht und waren selbstverständlich zu der Schlussfolgerung gelangt, dass sie sich beide glücklich schätzen durften.
Vor dem Abendessen fand eine Stegreif-Modenschau statt, wobei Elena und Monica ihre Neuerwerbungen vorführten und Reboul sich die Umkleidepause zunutze machte, um sich zu erkundigen, wie es um die „die Elena-Krise“bestellt sei.
„Ein bisschen besser“, erwiderte Sam. „Ich hoffe, morgen ist sie ausgestanden. Sind Sie sicher, dass es in Ordnung ist, wenn ich mir Alphonse für ein oder zwei Stunden ausleihe?“
Reboul grinste. „Natürlich. Wollen Sie sich auch seine Kochmütze borgen?“
Es dämmerte schon, als Marcella und Jacques, die seit einer Stunde an der Reling lehnten, die Oberstadt von Calvi erblickten, die von dem Gouverneurspalast und der alten Zitadelle beherrscht wurde. Langsam steuerte das Schiff auf den korsischen Fährhafen zu. Fasziniert schauten sie auf die vielen, meist weiß glänzenden Jachten, die weiter links vor Anker lagen. Sie verabredeten, dass Jacques den Citroën aus dem Schiffsbauch hinaussteuern sollte, während Marcella auf dem Kai nach ihrer alten Freundin Ausschau halten würde.
Jacques kamen die Minuten, die er im Wagen saß und wartete, dass er endlich ins Freie fahren konnte, endlos vor.
Der Gestank der Abgase war selbst mit geschlossenen Fenstern und abgestellter Klimaanlage unerträglich. Sich einmal ein paar Augenblicke keine Sorgen zu machen, war Jacques nicht gegeben, und so stellte er sich vor, während weit vor ihm die ersten Fahrzeuge sich stockend aufs Licht zu bewegten, dass die Polizei schon das neue Autokennzeichnen herausgefunden, Telefonanrufe rückverfolgt hatte und ihn und seine Geliebte draußen am Kai von Calvi abfingen und auf die Hauptwache beorderten.
Etwas sicherer als noch vor fünf Stunden gelang es ihm den Wagen samt dem rumpelnden Anhänger auf die Rampe und auf den Kai zu befördern, wo er der ausgewiesenen Spur folgte, bis er eine Parkgelegenheit fand. Er brauchte eine Weile, um an den Kai zurückzuschlendern und auch, um unter all den aufgeregt schwatzenden Grüppchen und Pärchen Marcella zu entdecken, die bei einer etwa gleichaltrigen, versonnen lächelnden Frau stand, die einen Kopf größer war als sie. Marcella drehte sich um, und Jacques erschrak, als er ihren Blick auffing, aus dem alle Freude, aller Übermut der vergangenen Stunden gewichen war. Ihre Gesichtszüge waren versteinert, als er näher trat. Erst jetzt gewahrte Jacques Pigeat, dass neben der braunhaarigen lächelnden Schulfreundin von einst noch ein Mann stand, in Jeans und halb offe- nem Hemd, mit dichtem schwarzem, elegant gescheitelten Haar. Er sah aus wie ein vor Selbstbewusstsein strotzender Filmschauspieler, und zwar einer der erfolgreichen Art, spezialisiert auf Herzensbrecherrollen. Was war hier los?
Marcellas Gesichtszüge befreiten sich allmählich aus der Versteinerung, und sie zog eine Grimasse, als wollte sie sagen, was müssen wir auch wieder für ein Pech haben. Jacques sah die Narbe auf der Wange des Mannes, und da begriff er mit einem Male, was sich hier auf dem Kai zugetragen hatte, während er den Wagen hinausgefahren hatte. Dieser Mann musste der Gigolo sein, in den Marcella einst unsterblich verliebt gewesen war. Sie hatte ihre Schulfreundin Paola wiedergefunden und sogleich feststellen müssen, dass diese schon seit Jahren mit jenem Mann zusammenlebte, mit dem sie ein himmlisches Jahr zusammengewesen war.
Später, als Marcella auf dem Beifahrersitz im Citroën Platz nahm und sie allein waren und eine abenteuerliche Serpentinenstraße entlangfuhren, die Grund zu der Befürchtung gab, dass sie jeden Moment samt ihren Qualitätsweinen in eine tiefe Schlucht stürzen würden, bestätigte Marcella seinen Verdacht mit theatralischen Worten und Gebärden.
„Wir kriegen das schon hin“, sagte Jacques ruhig und tätschelte ihren Arm. „Aber vielleicht sollten wir die Zeit, die wir versuchen, clean zu bleiben, auf ein halbes Jahr verkürzen.“
In Marseille begann der Morgen mit einer kurzen Verhandlung am Frühstückstisch.
„Ich habe eine kleine Überraschung für dich“, sagte Sam zu Elena. „Ich bin den ganzen Vormittag unterwegs, werde aber zum Mittagessen zurück sein.“„Kann ich mitkommen?“„Keine Chance.“„Auch wenn ich verspreche, die Liebenswürdigkeit in Person zu sein?“
„Nein.“Die Antwort trug ihm ein Schmollen von Elena ein, aber es war ein gut gelauntes Schmollen, so dass Sam leise vor sich hin pfiff, als er losfuhr.
Nach einer kurzen Besorgung in Marseille begab er sich auf den Weg ins Haus, um sein Sühneopfer in Szene zu setzen. Es handelte sich um ein hausgemachtes Mittagessen, von Sam eigenhändig zubereitet, mit ein wenig tätiger Unterstützung von Alphonse. Das Menü war einfach gehalten: Eisgekühlte Melonensuppe, mit Rotweinsauce, Salat mit BalsamicoDressing und Alphonses ungemein dekadente Schokoladentarte. Dazu gab es Elenas Lieblingswein, einen Châteauneuf-du-Pape Jahrgang 2010, Domaine Vieux Télégraphe.
Sam hatte gerade begonnen, die Zutaten bereitzulegen, als er das Röhren eines Motors vernahm und vors Haus trat, wo ein Lieferwagen und zwei Männer eintrafen. Sie brachten ein Geschenk von Fitz – ein Dutzend Holzkisten, die von den Männern mit einer gewissen Ehrfurcht an der Küchenwand aufgestapelt wurden. Als Sam die Aufschriften las, geriet er ins Staunen. Zwei Kisten Château Lafite-Rothschild. Zwei Kisten Château Latour. Zwei Kisten Romanée Conti La Tâche. Zwei Kisten Chablis Grand Cru. Zwei Kisten Krug-Champagner. Und zwei Kisten Château d’ Yquem. Ein Anfang für einen Weinkeller vom Allerfeinsten war damit gemacht. (Fortsetzung folgt)
filet mignon